Im Ehedrama „Nie mehr wie immer“ spielt Edgar Selge neben seiner Frau einen Mann mit versteckten Leidenschaften: Der Normalo wird zum geheimnisvollen, abgründigen Typen.

Wie sieht eine Ehe aus, die schon lange existiert und ziemlich eingefahren ist? Unaufgeregt, nicht unbedingt freudlos. Franziska Walser und Edgar Selge, die auch im wahren Leben ein Ehepaar sind, spielen in „Nie wieder wie immer“, ein Paar, das freundlich miteinander umgeht. In dem alten, gepflegten Haus am Wasser und mit großem Garten lebt es sich komfortabel. Man hat Platz, wohnt in geschmackvollen Räumen. Und doch trägt Melanie (Walser), die als Malerin in einem Gartenatelier arbeitet und „sehr fröhliche Bilder macht“, wie ihre Galeristin sagt, sehr oft eine Sonnenbrille. Sie leidet unter Migräne und will sich schützen. Doch die dunklen Gläser wirken wie Scheuklappen. Melanie will nichts sehen. Und eigentlich auch nichts hören. Vom Leben da draußen, von allem, das nicht fröhlich, beruhigend, seicht ist. Sie will nur wissen, dass alles gut ist. „Nur im langweiligen Gleichmaß finde ich meine Ruhe“, sagt sie und weiß auch, „aber mit dem wirklichen Leben hat das nichts zu tun. Mit Spaß schon gar nicht.“

Und Walter, der sich meist liebevoll bemühende, aber immer auch ein wenig abwesend wirkende Ehemann (Selge), bekommt kleine Aussetzer, bei denen er plötzlich sehr viel Wasser trinken muss, nicht zuhören kann, die erotischen Avancen seiner Frau viel zu heftig abweist und immer wieder in seinem Arbeitszimmer im Keller verschwindet. Die Schublade seines Schreibtisches dort öffnet er erst, nachdem er sich mit einem Blick zur Tür versichert hat, dass er alleine ist.

Wir alle wissen, dass das Unheil nicht unbedingt im Glöckner von Notre-Dame lauert, sondern viel eher im Normalen, im Typen, der harmlos aussieht und freundlich tut. Was könnte erschreckender sein als die Erkenntnis, dass der nette Normalo von nebenan eine Frau verprügelt, ein Kind missbraucht oder ein altes Ehepaar um sein Vermögen gebracht hat?

Scheinbar heile Welt kommt ins Wanken

Genau damit arbeitet dieser Film: Alles sieht so sehr nach gebändigter, heiler Welt aus, dass man sich unweigerlich fragt, was hier nicht stimmt. Zumal Melanie glaubt, einen Einbrecher im Haus gesehen zu haben, und gern mit dem Fernglas aus dem Fenster schaut und manch Unregelmäßigkeit beobachtet.

Edgar Selge, der so wunderbar Durchschnittsmänner spielen kann, gibt als Walter Huber nicht nur vom Namen her quasi den Prototyp des Durchschnittsmannes. Er ist langweilig gekleidet, spricht nicht viel, eilt mit Aktentasche zur Arbeit – er arbeitet zu allem Überfluss in einer Versicherungsgesellschaft –, plaudert nur sehr kurz mit Kollegen. Aber in diesem Mann, der sich so schrecklich darum bemüht, unauffällig zu sein, lauert etwas. Selge entwickelt das langsam, guckt nur ganz leicht verschreckt, wenn ihn etwas irritiert. Oder er sitzt unruhig beim Essen, stürzt zum Wasserhahn, um sich gleich mehrere Gläser Wasser einzufüllen. Er weicht aus, mit Blicken, mit Worten. Und als Melanie endlich mal wieder Sex will, stößt er sie schroff zu Boden.

Franziska Walser ist die warme, weiche Frau an seiner Seite, die sich blauäugig und ahnungslos auf alles verlässt, was Walter ihr sagt. Zu seinem Geburtstag hat sie Sohn Jan (Christian Erdt) und dessen neue Freundin Siri (Luise Wolfram) eingeladen. Die beiden jungen Leute bringen Heiterkeit und ein bisschen Leben in die Bude. Und auch viel mehr Natürlichkeit, als sonst in diesem Haus üblich ist.

Für Walter wird es dennoch ganz plötzlich unangenehm. Obwohl jeder sich bemüht, dass alles schön, alles gut aussieht, schwelt es unter der Oberfläche wie bei einer infizierten Wunde, die sich immer weiter ausbreitet. Melanie beharrt sogar noch darauf, alles sei gut, als sie erfährt, dass Walter heimlich Geld, das dem Sohn zugedacht war, veruntreut hat. Sie, eine wohlhabende Erbin, hat alle Verantwortung an ihrem Leben, an ihrer Ehe an Walter abgegeben und wähnt sich in trügerischer Sicherheit, weil sie die Augen vor allem verschließt

Sohn Jan ist es schließlich, der seiner Mutter verrät, was er über den Vater herausgefunden hat. Und die Mutter scheint erstmals entschlossen, diesem Verdacht nachzugehen und das Haus, in dem sie sich so behütet fühlt, zu verlassen. Was Walters Geheimnis ist, sei hier nicht verraten. Es würde die Spannung, von der der Film lebt und die die Schauspieler so präzise, nuanciert und mit leise steigernder Bedrohlichkeit aufzubauen wissen, zerstören. Dem Paar Selge/Walser zuzuschauen ist ein großes Vergnügen. Ihnen gelingt es, im einen Moment die Intimität und Vertrautheit zweier zueinander gehörender Menschen zu zeigen und Sekunden später deren Fremdheit miteinander. Ungläubig schaut Melanie auf. Walter, und wir alle wissen: Der Mensch, der einem am nächsten scheint, den kennt man oft gar nicht.

„Nie mehr wie immer“ Mi 20.15 Uhr, ARD