Bevor der zweite Adler-Olsen-Thriller ins Kino kommt, zeigt das ZDF den ersten Fall von Kommissar Mørck. „Erbarmen“ im Free-TV.

Wenn man sich sein Bild von unseren nördlichen Nachbarländern nur über die hierzulande am besten verkauften Bücher dort lebender Autoren machen würde: Kein Mensch traute sich jemals wieder nach Schweden oder Dänemark. Seit Kommissar Wallander vor mehr als 20 Jahren den (zweiten) Boom skandinavischer Krimis in Deutschland auslöste, konnte man den Eindruck bekommen, Schweden und Dänemark wimmele nur so vor schwermütigen Kommissaren. Und hinter jeder zweiten Straßenlaterne lauere ein psychopathischer Killer mit ausgeprägtem Sinn für die möglichst entsetzliche Ausgestaltung seiner Taten.

Auch Jussi Adler-Olsen ist einer jener Schriftsteller, deren Ermittler reichlich gebrochene Charaktere sind und deren Täter sich durch – wertfrei gesprochen – kreative Herangehensweisen an Mord und Totschlag auszeichnen. Und damit hat er beträchtlichen Erfolg. Millionenfach haben sich z.B. „Erbarmen“ oder „Schändung“ verkauft. „Verheißung“, der sechste von insgesamt zehn avisierten Fällen für Carl Mørck vom Sonderdezernat Q der Polizei Kopenhagen, erscheint im April.

Im vergangenen Frühjahr lief die vom ZDF koproduzierte Verfilmung des ersten Bandes im Kino. Und bevor Mitte Januar der zweite Teil („Schändung“) über die große Leinwand flimmert, kann man sich auf dem heimischen Fernseher noch einmal filmisch einstimmen. Das ZDF zeigt im Montagskino „Erbarmen“ als Free-TV-Premiere. Die lohnt sich sowohl für Thrillerfans im Allgemeinen als auch für ausgemachte Adler-Olsen-Anhänger im Besonderen.

Handlung wurde deutlich gestrafft

Natürlich ist die Handlung im Vergleich zur literarischen Vorlage deutlich gestrafft worden, natürlich wurden hier und da filmische Abkürzungen genommen. Aber der Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas („Adams Äpfel“, „Brothers – Zwischen Brüdern“) gibt den ins Sonderdezernat Q abgeschobenen Mørck mit genau dem richtigen Maß an Besessenheit und Misanthropie, dass auch Fans der literarischen Vorlage nicht vor den Kopf gestoßen werden. Und die zweite Hälfte des Duos ist mit Fares Fares als lebensfrohem Counterpart Assad ebenso gut besetzt.

Zusammen sollen die beiden alte Fälle katalogisieren, im Keller des Polizeidezernats Kopenhagen: Mørck, weil er seit einem missglückten Einsatz, bei dem ein Kollege erschossen, ein weiterer und er selbst angeschossen wurden, schwer traumatisiert und noch weniger zugänglich ist als ohnehin schon. In der Mordkommission, seinem angestammten Arbeitsplatz, will niemand mehr mit ihm arbeiten. Und Assad ist im Untergeschoss, weil er auf seinen Stempeljob in der Registratur überhaupt keine Lust mehr hat. Er begreift das, was für Mørck einer Degradierung gleich kommt, als Aufstieg.

Die ungeliebte Aufgabe interpretiert Mørck ganz anders, als sein Vorgesetzter sich das gedacht hat. Statt Berichte zu schreiben und die Akten der ungelösten Fälle endgültig zu schließen, beginnt er, die Ermittlungsergebnisse von damals zu hinterfragen. Dass die so beliebte wie erfolgreiche Politikerin Merete Lynggaard (Sonja Richter) vor fünf Jahren in suizidaler Absicht von Bord einer Fähre gesprungen ist, glaubt Mørck nicht. Hätte sie sonst ihren Bruder Uffe (Mikkel Boe Følsgaard) mit auf die Fähre genommen, einen Autisten, den sie seit dem Tod ihrer Eltern pflegt?

Filmisch geschickt vermischt Regisseur Mikkel Nørgaard (der schon für mehrere Folgen der Serie „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ verantwortlich war) Vergangenheit und Gegenwart. Erst zeigt er die Ermittler, dann wieder das, was sie aus den Zeugenaussagen von damals herauslesen, während die beiden mit der Fähre fahren, auf der Lynggaard zu Tode gekommen sein soll. Doch auf einmal sieht man Dinge, die Mørck und Assad gar nicht wissen können, z.B. eine Szene im Bauch des Schiffes: Lynggaard wird von einem Unbekannten betäubt, Uffe sieht hilflos zu. Dann erwacht die junge Frau im Dunkeln. Die Umrisse ihres Gefängnisses kann sie nur langsam ertasten, es ist eng. Aus einem Lautsprecher ertönt die Stimme ihres Entführers: „Merete, du kommst hier nie wieder raus.“ Und schließlich: „Wir sehen uns in einem Jahr.“

Dieser Wissensvorsprung, den Regisseur Nørgaard den Zuschauern einräumt, schmilzt zusehends dahin, während die Ermittlungen des ungleichen Duos fortschreiten. Mørck und Assad versuchen, Uffe zur Hilfe zu bewegen und Verbindungen zu den Teilnehmern einer Konferenz herstellen. Die Zeitlinien der Erzählung streben langsam aufeinander zu, doch das Motiv für die Entführung bleibt ebenso lange im Dunklen wie das Schicksal Lynggaards.

Wie es weitergeht mit dem Sonderdezernat Q, erfährt man in der Buchhandlung um die Ecke oder ab dem 15. Januar im Kino. Dann befassen sich Mørck und Assad mit einer „Schändung“. Falls dem Hamburger Zuschauer Teile Kopenhagens merkwürdig bekannt vorkommen sollten: Der Film wurde unter anderem in Hamburg gedreht. Auch wenn hier die Quote wahnsinniger Mörder deutlich niedriger liegt als im literarischen Skandinavien.

„Erbarmen“, Mo 22.25 Uhr, ZDF