Sir Ridley Scotts neuer Film „Exodus: Götter und Könige“ handelt vom dramatischen Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Was der Starregisseur über den Tod, Glauben und die Bibel denkt.

Hamburg. Trotz seiner mittlerweile 77 Jahre gehört Ridley Scott noch immer zu den aktivsten Filmregisseuren der Welt. Vor 35 Jahren feierte er mit „Alien“ seinen ersten Kinoerfolg, dazwischen inszenierte er filmhistorische Meilensteine wie „Blade Runner“, „Thelma & Louise“ und „Gladiator“. Auch als Produzent nimmt der Brite Einfluss auf Film- und Fernsehproduktionen. Mit seinem aktuellen Werk wagt sich Ridley Scott, der 2003 in den Adelsstand erhoben wurde und sich seitdem Sir nennen darf, an einen biblischen Stoff. „Exodus: Götter und Könige“ erzählt vom Auszug des Volkes Israels aus Ägypten, wo die Israeliten als Sklaven dienen mussten.

Hamburger Abendblatt: Wie sind Sie darauf gekommen, noch einmal die biblische Geschichte von Moses als Kinofilm erzählen zu wollen?
Ridley Scott: Normalerweise tut man gut daran, Filmprojekte von Anfang an mit zu entwickeln. In meiner Karriere gab es bisher nur drei Ausnahmen, die auf meinem Schreibtisch gelandet sind: „Alien“, ein Projekt, das man mir sonst wieder weggenommen hätte, „The Counselor“ nach einem der besten Drehbücher, die ich je gelesen habe, und „Exodus“, das mir von Produzent Peter Chernin zugeschickt wurde. Ich fragte mich: Wie bitte? Moses? Warum Moses? Dann las ich es und war ganz gefesselt, vor allem deshalb, weil ich vieles über Moses noch nicht wusste. Genauso umwerfend fand ich die gewaltige Geschichte über das alte Ägypten. Das war eine große Herausforderung für mich. Ich konnte nicht anders, als mich letztlich darauf einzulassen.

Und wann sind Sie auf Christian Bale für die Hauptrolle gekommen?
Scott: Wenn ich lese, fängt mein Gehirn sofort an zu arbeiten, und zwar in der Hinsicht, dass ich alles bereits in Bildern vor mir habe. Ich bin sehr visuell geprägt, und beim Lesen sah ich immer wieder Christian vor mir. Als ich mit dem Drehbuch fertig war, sagte ich mir, das muss unbedingt Christian Bale spielen. Also rief ich ihn an und sagte, ich hätte da etwas für uns beide. Wenn du es magst, lass uns darüber reden. So passierte es dann auch.

Haben Sie sich ausschließlich an das gehalten, was in der Bibel über Moses geschrieben steht, oder haben Sie sich gewisse Freiheiten herausgenommen?
Scott: Über Moses steht gar nicht so viel in der Bibel, wie man sich das vielleicht vorstellt. Unser Anspruch war es jedoch, den Mann dahinter vorzustellen. Er war ein Mann der Extreme, der in einem inneren Konflikt stand und mit Gott haderte. Er wollte von Gott einen Beweis seiner Existenz haben. Darüber habe ich noch keinen Film gesehen, und in diesem Sinne finde ich, dass uns eine biblisch akkurate Auseinandersetzung gelungen ist.

Was glauben Sie, wie religiöse Zuschauer auf Ihre Interpretation reagieren werden?
Scott: Man kann den Film auf ganz unterschiedliche Weise interpretieren. Es gibt die Szene mit Moses auf dem Berg, wo er einem Jungen begegnet. Moses ist davon überzeugt, dass der Junge real existiert, doch seine Frau glaubt, er hätte sich das nur eingebildet. Man könnte diesen Jungen, den nur Moses sehen kann, als sein Gewissen interpretieren.

Momentan gibt es viele Veränderungen in der Filmindustrie. Anbieter wie Netflix etwa machen es möglich, dass Filme im Internet übertragen werden können. Hat Kino überhaupt noch eine Zukunft?
Scott: Ich kann es nur hoffen, obwohl ich mir darüber im Klaren bin, das man heute Flachbildschirme groß wie Wohnungstüren herstellt, sodass im Grunde genommen keiner mehr nach draußen muss. Zumal man auch noch mehr Geld ausgeben muss, ein Kinobesuch mit Frau und Kindern ist heutzutage sehr teuer geworden. Ich denke aber, dass es trotzdem weiterhin wichtig ist, ins Kino zu gehen. Wenn das verschwinden würde, wäre das wirklich tragisch. Wir Filmleute stehen vor der Aufgabe, den Maßstab neu festzulegen. Deshalb ist es mir auch so wichtig, große Filme zu drehen, die man im Kino gesehen haben muss. Denn Zuhause – das ist niemals das gleiche Erlebnis.

Dazu gehört nun auch „Exodus“, ein gewaltiges Epos von zweieinhalb Stunden. Trotzdem wird es doch über kurz oder lang eine verlängerte Fassung für den DVD- und Blu-Ray-Markt geben, oder?
Scott: Im Kino läuft jetzt schon der richtige Cut von mir, aber ich musste beim Schnitt doch einiges weglassen. Die ursprüngliche Fassung ist vier Stunden lang, und die wird es sicherlich auch als Extra auf DVD und Blu-Ray geben.

Wenn man die Filme „Gladiator“, „Königreich der Himmel“, „Robin Hood“ und jetzt „Exodus“ zusammennimmt, hat man den Eindruck, es sind vor allem historische Stoffe, die Ihnen in Ihrer Arbeit am Herzen liegen.
Scott: So ist es aber nicht. Ich habe auch Filme wie „American Gangster“, „Black Hawk Down“, „Blade Runner“, „Prometheus“ und so weiter gedreht. Mein nächster Film „The Martian“ handelt davon, wie man auf dem Mars überleben kann. Das Einzige, was mich wirklich interessiert, sind gute Geschichten, denn davon lebe ich.

„Exodus“ ist auch die Geschichte zweier Brüder. Sie haben Ihren Bruder Tony Scott vor zwei Jahren auf tragische Weise verloren und widmen ihm diesen Film...
Scott: Das war aber nicht der Grund, weshalb ich „Exodus“ drehen wollte. Mein Bruder und ich, wir standen uns sehr nah, obwohl wir altersmäßig sechs Jahre auseinander waren, was dann keine Selbstverständlichkeit ist. Aber er mochte, was ich beruflich vorlebte. Er folgte mir, und ich habe ihn dabei unterstützt.

Trauern Sie noch viel um ihn?
Scott: Jeden Tag! Ich lasse es zu, manchmal nur Sekunden, manchmal aber auch zehn Minuten. Aber mehr als zehn Minuten will ich auch nicht, weil man sich sonst darin ertränkt, und das kann dich depressiv machen. Aber ich denke jeden Tag an ihn.

Wie stellen Sie sich Gott vor?
Scott: Es gibt viele wunderbare Darstellungen von Gott, etwa in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Ein wunderschönes Kunstwerk, obwohl ich diese Darstellung Gottes für mich nie so übernehmen würde. Gott und Religion haben für mich mehr mit Gewissen zu tun. Als Kind mag man das nicht, weil man sich ständig schuldig fühlt. Mir erging es nicht anders, weshalb ich Religion eher ablehnte, aber sie hat mich nie ganz verlassen.