Nuri Bilge Ceylan erzählt in seinem Drama „Winterschlaf“ von einem Schöngeist und seinen Frauen in der Provinz

„Ich fange dir einen Freund fürs Leben“, sagt der Pferdefänger, und was da in den Augen seines Auftraggebers Aydin blitzt, ist die kalte Gier. Nein, kindliche Vorfreude. Oder Wehmut? Noch bevor wir in Nuri Bilge Ceylans Drama „Winterschlaf“ das Pferd ankämpfen sehen gegen seine Verfrachtung aus der Steppe in den Stall, stellt sich die ordentlich moralische Frage: Wie passen Zwang und Liebe zusammen, wie soll aus beauftragter Gewalt Gefährtenschaft entstehen?

Nein, hier geht es nicht um Zwangs-Ehen und touristische Abziehbilder und also nicht um „die Türkei“ und das übliche Bild von ihrem Hinterland. „Winterschlaf“ erzählt von schmeichelnder Entzweiung und schmerzhaftem Zusammengewachsensein. Bei Ceylan, dem derzeit wohl interessantesten Autorenfilmer Europas, zieht sich die Vergeblichkeit von Verständigung durch ein einziges Dorf, ja durch einen einzelnen Menschen.

Aydin zum Beispiel (Haluk Bilginer). Der sympathische Schöngeist scheint mit der Gegend verhaftet, sein Haar ist so grauweiß wie die verschneite Felsenlandschaft, wo er mit seiner jungen Frau Nihal (Melisa Sözen) und seiner geschiedenen Schwester Necla (Demet Akbag) lebt. Das kleine Höhlen-Hotel, das er führt, trägt den Namen „Othello“, und er ist stolz darauf, sich nicht zu sehr fürs Geschäft zu interessieren: Lieber, sagt er, habe er weniger Gäste, dafür aber die richtigen, die „das Natürliche“ schätzten.

Ist das schlecht? Despotisch? Verlogen? Das werfen ihm Frau und Schwester vor. Während die Gattin ihre im Kampf mit ihm verlorenen „besten Jahre“ betrauert und sich in ein Wohltätigkeitsprojekt stürzt, hält ihm seine Schwester vor, sich in der Rolle des kritischen Geistes zu gefallen, aber letztlich „kein Risiko einzugehen“. Sie alle haben ihre Gründe. Dabei schrauben sich die von Ceylan zusammen mit seiner Frau Ebru Ceylan verfassten Wortgefechte erstaunlich stressfrei und atemberaubend in die tollsten philosophischen Höhen, voller verblüffender Wendungen in jeder einzelnen Minute.

++++- „Winterschlaf“ Türkei 2014, 196 Min., ab 6 J., R: Nuri Bilge Ceylan, D: Haluk Bilginer, Melisa Sözen, im Abaton, Zeise; www.winterschlaf.weltkino.de