Der Dokumentarfilm „Titos Brille“ ist ein Roadmovie der Erinnerung

Ihr Vater war ein Held, erzählt Adriana Altaras zu Beginn von „Titos Brille“. Auch ihre Mutter sei eine Kämpferin gewesen. Die Schauspielerin und Regisseurin ist auch durch ihre Rolle in der „Anatevka“-Inszenierung im St. Pauli Theater bekannt. In diesem Dokumentarfilm begibt sie sich auf die Suche nach ihrer „strapaziösen Familie“. Altaras hat ein ambivalentes Verhältnis zu ihren Eltern. Der Vater war Radiologe und Charmeur, die Mutter Architektin. Die Tochter fühlt sich von ihnen noch nach ihrem Tod verfolgt. Dibbuks, Totengeister, nennt sie sie und möchte von ihnen in Ruhe gelassen werden. Also unternimmt sie eine Reise, um sich von ihnen zu befreien.

Sie fährt von ihrer Wohnung in Berlin nach Gießen. Von dort geht die Reise weiter nach Slowenien zur ehemaligen Villa von Marschall Tito. Dem habe ihr Vater mal vor einer entscheidenden Schlacht die Brille repariert, erzählt Altaras. Der Kampf wurde gewonnen, ihr Vater zum Helden. Nur, dass seine Tochter heute weiß, dass Tito damals gar keine Brille trug. „Die Legenden einer Familie werden immer wiedererzählt, damit die Geheimnisse im Dunkeln bleiben“, findet sie.

Es ist ein Roadmovie der Erinnerung, auf das der Film die Zuschauer mitnimmt. Es ist zugleich eine Reise nach Ex-Jugoslawien mit Reminiszenzen an das jüdische Leben in Europa und Deutschland nach dem Krieg bis in die Gegenwart. Altaras ist eine temperamentvolle, witzige, manchmal ein wenig eitle Reiseführerin.

Regisseurin Regina Schilling hat schon mit „Bierbichler“ bewiesen, wie man ein Biopic bändigen kann. Hier wählt sie mit Hilfe ihrer Protagonistin einen tragikomischen Erzählansatz, den man auch schon in der gleichnamigen Autobiografie findet. Die Regisseurin: „Ich hatte das Gefühl, meine Generation trug stellvertretend für unsere Eltern die Schuld der Deutschen an der Shoah. Durch die Freundschaft mit Adriana wurde vieles leichter und gleichzeitig komplizierter.“ Dieses Gefühl ist der Grundtenor des Films, an dessen Ende Altaras ihre beiden Söhne nach Split holt und dabei den Unterschied zwischen einer jüdischen Mutter und einem Pitbull erklärt: „Ein Pitbull lässt irgendwann los.“

+++-- „Titos Brille“ Deutschland 2014, 90 Minuten, o. A., R: Regina Schilling, täglich im Abaton, Zeise; www.titosbrille.x-verleih.de