Regisseur Jason Reitman konstruiert in der Tragikomödie „#Zeitgeist“ ein Alltagsszenario des digitalen Schreckens

Oja, „#Zeitgeist“ atmet jede Menge Zeitgeist. Einen ähnlichen wie die Mediziner, die in der Frühzeit der Eisenbahn warnten, eine höhere Geschwindigkeit als 40 Stundenkilometer könne der Mensch nicht aushalten. Einen Zeitgeist wie die Moralapostel, die im Rock ’n’ Roll der 50er-Jahre das Verderbnis der Jugend heraufziehen sahen.

Das # vor dem deutschen Titel ist kein Druckfehler. Man soll den neuen Film von Jason Reitman „Hashtag Zeitgeist“ aussprechen. Im Original heißt er nur „Men, Women & Children“, in diesem Fall ist der deutsche Titel aussagekräftiger. Gleich anfangs postet uns der Regisseur, was er meint: Er zeigt eine Schule, überall laufen Teenager mit starrem Blick auf ihr Handy herum, über jedem Kopf wird die Textmitteilung eingeblendet, die gerade gesendet oder empfangen wird. Es ist ein verstörendes, erhellendes Bild, das treffendste, das das Kino bisher für den Rivalen um die Aufmerksamkeit seiner Klientel gefunden hat.

Dann macht sich Reitman daran, ein Alltagsszenario des digitalen Schreckens zu konstruieren. Vater Don (Adam Sandler) schleicht sich in den Raum seines Sohnes, weil der eigene Computer defekt ist; auf dem Gerät von Chris findet er viel härtere Pornografie. Chris ist so abgestumpft vom Pornokonsum, dass er die Cheerleaderin Hannah nicht befriedigen kann. Hannah wiederum fläzt sich in aufreizenden Posen auf ihrer Website, die von der eigenen Mutter gemanagt wird. Der Footballer Tim gibt seinen Sport auf, um sich in einem online-Fantasy-Rollenspiel zu verlieren. Und Mutter Patricia (Jennifer Garner) überwacht akribisch jede SMS, jeden Anruf und jede Bewegung ihrer Tochter im Netz.

Es ist eine digitale Hölle, die sich in diesen friedlich-bürgerlichen Suburbs auftut. Entworfen haben sie der Romanautor Chad Kultgen, 38, die Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson, 50, und der Regisseur Jason Reitman, 37. Das Alter der Beteiligten ist in diesem Zusammenhang wichtig, benutzen sie die neuen Medien zwar, wurden aber noch analog geprägt. Das digitale Zeug ist ihnen unheimlich, das spürt man in jeder Szene.

„#Zeitgeist“ ist ein Film für all jene Eltern, an denen ein latentes Unbehagen nagt ob der unerforschlichen digitalen Wege, die ihre Kinder beschreiten. Daran ist nichts auszusetzen, nur sendet Reitmans Film ein Signal extremer Hilflosigkeit. Reitman & Co. sind in Wirklichkeit ratlos, so wie Hollywood nach 15 Jahren digitaler Revolution immer noch ratlos ist, wie es dieser Zeitenwende begegnen soll. Der erste voll überzeugende Film, der die neue digitalen Realität adäquat wiedergäbe, muss erst noch gedreht werden.

++---„#Zeitgeist“ USA 2014, 116 Min., ab 12 J., R: Jason Reitman, D: Jennifer Garner, Adam Sandler, Ansel Elgort, Judy Greer, täglich im Studio-Kino, UCI Mundsburg; www.Zeitgeist-derFilm.de