Unaufdringlich und trotzdem opulent: Niels Frevert singt und spielt im Mojo Club

Er kann tatsächlich jemand anderen meinen und ansprechen, den anderen, der sich immer verdrückt, wenn sie sich treffen, auf Partys oder wo auch immer. Der sich früher am längsten versteckt hat bei den Spielen der Kindheit. Oder ist es eine „Sie“? Es kann aber auch so sein, dass Niels Frevert mit dem „Du“ in seinem umwerfend tollen Song „Nadel im Heuhaufen“ am Ende doch sich selbst meint.

Vielleicht aber auch uns alle, denn deswegen ist Frevert, der Hamburger Musiker, ja so ein wunderbarer Songwriter, fast schon ein Dichter: Der 47-Jährige erzählt in seinen Songs kleine Geschichten, entwirft atmosphärisch dichte Szenen und gibt den Weltenschöpfer. Er baut Liedzeilen, die suggestiv sind, aber so locker gewebt, dass der Zuhörer sich selbst in sie hineindenken kann. Er versetzt diese Zeilen in eine lyrische Schwingung, mit der man bereitwillig zwischen den Bedeutungsebenen schwebt. Oder so ähnlich.

In „Nadel im Heuhaufen“ singt Frevert von polnischen Abschieden und der persönlichen Unabhängigkeit, die sich in dezent eskapistischen Verhaltensweisen äußern kann. Vom Ich und der Gesamtheit, ein Verhältnis, das immer wieder neu austariert werden muss. Schwelgende Stimme, schwelgende Streicher, wohltemperierte Melancholie. Dafür ist Frevert mittlerweile ein Experte, und das ist als Lob zu verstehen: Man würde nie auf die Idee kommen, Frevert als Trauerkloß zu bezeichnen, lieber als: Seelentröster.

„Plötzlich wird meine Hand von deiner gehalten/Plötzlich will ich irgendwann mal alt werden“, heißen zwei Zeilen in „Das mit dem Glücklichsein ist relativ“, dem Stück mit dem unschlagbarsten Titel auf Freverts neuem Album „Paradies der gefälschten Dinge“. Das stellt der Künstler mit seiner Band am Freitag live im Mojo Club vor.

Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Freverts diesmal so opulent wie noch nie inszenierter und doch intimer Songwriter-Pop passt jetzt, da wir uns zum Kehraus sammeln – auf Festivitäten, aber auch innerlich.: Die Vokabel „besinnlich“ mag uns für Freverts introspektive Alltagsbetrachtungen aber nicht recht gefallen. Und trotzdem ist seine Musik wegen der großen Geste, die eigentlich nie pathetisch wirkt, für das Jahresend-Feeling zwischen Aufbruch und Melancholie sehr gut geeignet. Das Gütesiegel des Frevert-Popentwurfs ist die unaufdringliche Anmutung seiner Verse, die sowieso nur mit Akustikgitarren funktionieren, aber erst angesichts üppiger Orchestrierung ihren ganz eigenen Reiz entfalten.

Bei Frevert kann man sich nicht vorstellen, dass er jemals eine schlechte Platte aufnimmt. Er ist der, der uns durch den Tag bringt, durch den Winter, die dunklen Tage, das Jahr 2015 und das danach. Wer immer auch derjenige ist, der sich ohne Abschiedsgruß verdünnisiert: Er kann kein schlechter Typ sein.

Niels Frevert Fr 12.12., 21.00, Mojo Club (U St. Pauli), Reeperbahn 1. Karten ab 22,- im Vvk.; www.nielsfrevert.net