Die TV-Dokumentation „Verspielte Welt“ zeigt, wie Mechanismen aus der Unterhaltungsindustrie in den Alltag der Menschen Einzug halten. Was sich hinter „Gamification“ alles verbirgt.

Videospiele haben eine fast beispiellose Karriere hingelegt, in allen Bereichen. Technisch haben sie sich stetig weiterentwickelt, sie sind zum Motor für die Steigerung der Leistungskraft moderner Computer, Konsolen, Smartphones und Tablets geworden. Denn es gibt kaum Anwendungen, die die Hardware so fordern wie Spiele. Und sie sind längst wichtiger Teil der Unterhaltungsindustrie geworden: Moderne Videospiele kosten hunderte Millionen Euro in der Entwicklung und generieren Umsätze in Milliardenhöhe. Dazu ist die erste Generation der leidenschaftlichen Zocker erwachsen geworden und gibt ihre Leidenschaft an die nächste weiter: Spiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und sie beeinflussen sie.

Gamification heißt das neudeutsche Schlagwort, das beschreibt, wie Mechanismen aus Videospielen in ganz andere Zusammenhänge übertragen werden. Besonders aus Spielen entliehene Belohnungssysteme können motivieren. Wer kleine und größere Aufgaben löst, den inneren Schweinehund überwindet, bekommt positive Rückmeldungen. Spielmechanismen lassen sich aber auch zur Überwachung und zum Anheizen von Konkurrenzkämpfen missbrauchen. Wie das funktioniert, beschreibt die Doku „Verspielte Welt“, die 3sat am Donnerstag zeigt.

Diabetiker beispielsweise müssen regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren. Aber wo schon einige Erwachsene Probleme mit der Disziplin haben, so sehr diese auch im Eigeninteresse liegt, wie soll man da ein Kind zur Selbstkontrolle motivieren? Die Antwort findet sich auf dem Smartphone des neunjährigen Mister. Der kanadische Knirps mit dem eigenwilligen Vornamen hat eine App auf dem Handy, die aus dem Messen des Blutzuckerspiegels ein Spiel macht. Jedes Mal, wenn er den aktuellen Wert einträgt, bekommt er Punkte, kann neue, knuffig designte Monster und andere Belohnungen freischalten. Und sein Vater kann über einen eigenen Zugang auf die Daten zugreifen, die der Filius der App verrät. So haben die Eltern das sichere Gefühl, dass es ihrem Sohn gut geht. Und der hat die vormals lästige Aufgabe schnell in seinen Alltag integriert.

Noch einen Schritt weiter geht eine New Yorker Modellschule, die das Spielen zum Grundprinzip des Unterrichts erhoben hat. Möglichst alle Inhalte sollen spielerisch vermittelt werden, statt klassischem Frontalunterricht oder Gruppenarbeit stehen Formen auf dem Plan, die an die Neugier und den natürlichen Spieltrieb appellieren. Ein Erfolgsmodell, wie der Schulleiter betont. Bei den Prüfungen schnitten seine Schüler oftmals besser ab als die anderer, „normaler“ Schulen.

Doch nicht nur Kinder lassen sich mit Spielen und ihren Mechanismen locken. Auch in der Arbeitswelt hat die Gamification Einzug gehalten. Der Software-Entwickler Jörg Niesenhaus arbeitet an neuen Abläufen für Fließbandarbeiter, um die Monotonie des Jobs aufzubrechen, die Angestellten besser zu motivieren – und natürlich, um die Produktivität zu erhöhen. Dabei steht für ihn das Miteinander im Vordergrund, es geht ihm nicht darum, einzelne Angestellte hervorzuheben, sondern die Fließbandschicht insgesamt zu motivieren, die bestehende soziale Dynamik positiv zu nutzen.

Ganz im Gegensatz zur amerikanischen Restaurantkette Applebee’s. Dort zeigen die Mechanismen der Gamification ein deutlich hässlicheres Gesicht: Jeder Angestellte steht im permanenten und über einen Bildschirm im Gastraum für alle sichtbaren Wettbewerb mit allen anderen: Wer hat wie viel verkauft, wer hat sich auf den nächsten Level hochgeschraubt, wer hinkt hinterher. Jeder gegen jeden heißt die Devise dort, die zur Leistungsoptimierung beitragen soll. Belohnt wird sogar Denunziation: Wer einen Verstoß der Kollegen gegen die Sicherheitsvorschriften meldet, bekommt Punkte. Und wenn es nach den Machern dieser schönen neuen Fast-Foodwelt geht, sehen auch die Gäste demnächst auf den ersten Blick, wie gut oder schlecht jemand im internen System dasteht. Der „Level“ der Kellner, er soll sich bald schon auf ihrer Uniform wiederfinden. Die immerhin noch positive Einzelleistung eines „Mitarbeiter des Monats“ wird so durch die weit zynischere Bloßstellung derjenigen ersetzt, die den Ansprüchen der Chefetage nicht genügen.

Die „Verspielte Welt“, die viele nur auf Bildschirmen vermuten, sie hat längst damit begonnen, unseren Alltag und unseren Umgang miteinander zu verändern. Zum Besseren. Und zum Schlechteren.

„Verspielte Welt – Die Gamification unseres Lebens“, Do 11.12., 20.15 Uhr, 3sat