Mit Sängerin Sandra fing vor 30 Jahren alles an, dann kamen Enigma, Sarah Brightman, Kloster-Pop von Gregorian. Der Hamburger Musikproduzent Frank Peterson ist der Mann hinter den Hits. Aber ein Star will er nicht sein

Früher war Frank Peterson der Mann mit dem Umhänge-Keyboard. Die Haare vorn zu einer kurzen Palme frisiert, dafür lang im Nacken. Der Look war schwarz-weiß. Die Krawatte hing locker, das Sakko war am Arm auf Dreiviertel gekrempelt. Mit ernstem Blick, aber locker aus dem Handgelenk entlockte er den Tasten eine synthetische Fanfare, bevor sie zu singen begann: Sandra. Dauerwelle. Seitenzopf. Dramatischer Augenaufschlag. Mehr 80er-Jahre ging nicht. Vor einer im Bluescreen hingezauberten Höhlenkulisse schwor Sandra im Sommer 1985: „(I’ll Never Be) Maria Magdalena“. Der schmissig-schmachtende Discohit erklomm in 21 Ländern Platz eins der Charts. Und diese Zeit mit Sandra, der Sängerin aus Saarbrücken, sollte die öffentlichste Phase in Frank Petersons bisherigem Leben werden. Die großen eigenen Erfolge kamen erst später, als er als Produzent im Hintergrund arbeitete. Ohne sein Gesicht in die TV-Kameras zu halten. Wenn man so will, ist er der Gegenentwurf zum Mann aus Tötensen, ein Anti-Dieter-Bohlen.

Seit Jahrzehnten verkauft der Hamburger Millionen von Platten, zuletzt mit seinem Projekt Gregorian, das am Montag in der Laeiszhalle gastiert. Aber sein Name steht nicht in großen Lettern auf den Plakaten. Keine Talentshow-Jury, in der er sein Know-how ausschlachten lässt. Stattdessen konzentriert sich der 50-Jährige in den Nemo Studios auf der Uhlenhorst auf das, was er seine „Vision von Musik“ nennt.

In der Villa in Alsternähe führt eine Treppe hinab in ein Höhlensystem der Kreativität, das zugleich Hightech-Himmel ist. Im Flur sind dicht an dicht Goldene Schallplatten zu bewundern. Enigma, Marky Mark, Sarah Brightman, Gregorian. „Die hängen hier nur auf Bestreben meiner Eltern“, sagt Peterson, der lässig in Blautönen gekleidet ist. Jeans, Baumwollhemd, Schal. Die halblangen Haare trägt er leicht zurückgekämmt. Gemeinsam mit dem Ohrring links sowie einem Schmunzeln in grauen Bartstoppeln verleiht ihm das eine entspannte, hippieske Ausstrahlung. Fotografieren lassen möchte er sich nicht vor seinen Trophäen, sondern – wenn schon nötig – lieber im Studio, für das er vor 18 Jahren das Erdreich ausheben ließ. Gitarren, Bässe und Keyboards reihen sich auf wie im gut sortierten Fachgeschäft. Das digitale Pult, die Rechner, aber auch alte Effektgeräte leuchten und blinken wie die „Star Trek“-Schaltzentrale. Zwei Klimaanlagen sorgen für Luft. Kein Ort für Tageslichtfreunde. Peterson sitzt zwischen seinen Geräten auf einem Drehstuhl und zieht einen Synthesizer aus dem Regal. „Der hat in den 1980er-Jahren gebraucht 30.000 D-Mark gekostet“, sagt er. Als könne er es heute selbst kaum fassen.

Seine Schaffensstätte wirkt enorm opulent. Erst recht in der heutigen Zeit, in der sich jeder musizierende Teenager günstige und platzsparende Computer-Software auf den Rechner laden kann. Doch opulent ist auch der Sound, den Peterson produziert. Er steht für eine Ära des Musikmachens, in der Klein-Denken nicht zum Repertoire gehörte. Diese Philosophie ist eng verbunden mit seiner musikalischen Laufbahn.

„Wir hatten ein Klavier zu Hause. Mein Vater ist Hobbypianist. Ich hatte immer einen Zugang zu Musik. Als ich drei Jahre alt war, habe ich angefangen Schallplatten zu sammeln. Mit sechs Jahren habe ich mir ‚Abbey Road‘ von den Beatles gekauft“, erzählt Peterson in seinem kleinen gemütlichen Büro. Eine weiße Gretsch-Gitarre steht in der Ecke. Diverse Preise in Gold ruhen eher gepfercht als prahlerisch in einer Vitrine, darüber zahlreiche Musikbücher. Sein Assistent bringt Apfelschnitze und Wasser. Peterson ist ein entspannter und zugleich meinungsstarker, passionierter Gesprächspartner. „Ich habe mir autodidaktisch beigebracht, Klavier zu spielen“, erzählt er. Hinzu kam Schlagzeugunterricht und ein wenig Notenkunde. Der ultimative Türöffner zur Pop- und Rockwelt war jedoch die Lehre, die er beim Musikalienhändler Amptown in Wandsbek absolvierte.

„Alle berühmten deutschen Musiker kauften da ein. Von Grönemeyer bis zu den Musikern von Lindenberg und Maffay“, erinnert sich Peterson. Sein Chef ließ ihn nachts im Laden all die teuren Geräte und Instrumente nutzen, sodass er sich mit ersten Aufnahmen ausprobieren konnte. „Das ganze Zeug konnte sich damals als Amateur niemand leisten. Das war für mich, als wenn man ein Kind alleine ins Disneyland einsperrt“, sagt er. Und strahlt bei dieser Erinnerung. Doch bevor er sich ganz der Musikproduktion widmen und hinter die Geräte zurückziehen konnte, kam die Sache mit Sandra dazwischen.

„Sandra kam für ihren ersten Fernsehauftritt nach Hamburg. Um Geld zu sparen, hatte die Plattenfirma örtlich nach Musikern gesucht, bei Amptown angerufen und gefragt: ‚Kennt ihr nicht ’nen jugendlichen Typen, der da mitspielen kann?‘“, erzählt Peterson. Bei der ersten Show in einer Großraumdiskothek lernte er Michael Cretu kennen, Sandras Produzenten und späteren Ehemann. Sie freundeten sich an, Sandra wurde zum Star und Peterson zum Profimusiker. Eine andere Zeit.

„Es gibt ja Länder, in denen war Sandra noch viel erfolgreicher als in Deutschland. Frankreich, Italien und Spanien zum Beispiel.“ Die Fan-Begeisterung, wie sie etwa Tokio Hotel in den Nullerjahren hervorgerufen hat, „das haben wir auch erlebt“, erinnert sich Peterson. Er sei die „hired gun“ gewesen, die Mietwaffe, der Auftragskiller am Keyboard, gebucht für TV-Auftritte und Livekonzerte. Ein Engagement, das ihn fünf Jahre lang unter anderem bis nach Japan brachte. „Ich habe das sehr genossen. Nicht unbedingt den Starrummel. Aber ich habe viel von der Welt gesehen und Kontakte geknüpft. Das war eine sehr gut bezahlte zweite Lehre im Musikbusiness“, sagt Peterson. Die Sache mit dem Umhänge-Keyboard, das er damals so effektvoll bediente, quittiert er heute eher mit einem großen Schmunzeln: „Später, in den 90ern, war es total uncool, so ’ne Bühnenrampensau zu sein. Da war man eher introvertiert.“

Nach und nach schrieb Peterson auch Songs für Sandra, produzierte einige Nummern und zog mit den Cretus schließlich nach Ibiza, wo das noch wesentlich erfolgreichere Projekt Enigma entstand. Die Mischung aus gregorianischen Chören, Pop-Beats und verführerisch gehauchtem Gesang, wie sie bereits für die erste Single „Sadeness Part 1“ prägend war, sorgte für Empörung bei der katholischen Kirche, bescherte Enigma mit dem Debütalbum „MCMXC a.D.“ aber auch Nummer-eins-Platzierungen in 41 Ländern sowie einen weltweiten Verkauf von mehr als 20 Millionen Tonträgern. Goldene Zeiten. Genauer genommen: Platin-Zeiten. Und Auslöser für einen neuen Trend an Ambient- und Chill-out-Musik.

Dass ein Produzent nach Ibiza zieht, klingt zunächst wie das ultimative Partyklischee. Doch Peterson empfand das Leben auf der Insel rückblickend eher als unangenehm. „Das war zwar schon eine lustige Zeit, dort auszugehen. In Clubs wie das Pacha. Für drei, vier Sommermonate hattest du den völligen Overkill. Aber dann plötzlich, Ende September, wurde Ibiza zur Geisterinsel, und es liefen nur noch ein paar gestrandete Glücksritter herum.“

Peterson kehrte 1991 nach Deutschland zurück, hatte sich zudem mit Cretu künstlerisch entzweit. Enigma war ein Welthit, er hatte Angebote aus Frankreich und den USA, entschied sich aber, an der Elbe Wurzeln zu schlagen. „Ich habe ja nicht nur in Spanien gelebt, sondern auch in München, Sydney und Los Angeles, aber es zieht mich immer alles zurück nach Hamburg.“ Sieben Monate im Jahr lebt Peterson mit Frau und Tochter in der Hansestadt, drei Monate in Miami, die restliche Zeit des Jahres ist er auf Reisen.

Seit Anfang der 1990er-Jahre konzentriert er sich voll auf die Musikproduktion, arbeitete unter anderem viele Jahre mit der Crossover-Sopranistin Sarah Brightman, etwa an dem Hit-Duett „Time To Say Goodbye“ mit Andrea Bocelli. Die israelische Sängerin Ofra Haza und die Hamburger Chanteuse Carolin Fortenbacher zählten ebenfalls zu seiner Kundschaft. Momentan hat er mit Sonic State aber auch eine junge Punkrock-Band aus Hamburg im Studio.

„Ich bin ein Produzent, der selten Aufträge von Plattenfirmen annimmt, da ich lieber selber Projekte entwickele“, erzählt Peterson. „Ich habe eine Idee und suche mir dafür einen Künstler.“ Oder mehrere. Wie im Fall von Gregorian. „Winter Chants“, das neue Album, ist die Nummer 16 des Kloster-Pop-Projekts. Peterson muss selbst nachzählen und blättert flugs durch die CDs in seinem Büroregal. Rund sechs Millionen Mal haben sich die Gregorian-Tonträger bisher verkauft. Mehr als zwei Millionen Zuschauer von Europa bis Japan sahen die Liveshows der klassisch ausgebildeten Sänger, die Peterson in England gefunden hat.

„Das sind verdiente Studiosänger, die die Soundtracks für Filme wie ‚Harry Potter‘, ‚Star Wars‘ und ‚Herr der Ringe‘ einsingen“, erzählt Peterson. Mit Stolz in der Stimme. Er ist jemand, dem mehr am Hand- als am Blendwerk liegt. Optik jedoch gehört zum Showgeschäft. Im Video macht der Chor daher in goldenen Kutten dem Lametta am Weihnachtsbaum Konkurrenz, wenn er mit heiligem Schmelz „Have Yourself A Merry Little Christmas“ intoniert. Gregorian ist hoch professionell produziertes Pathos. Das allerdings unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit fliegt. „Wir laufen nicht im Fernsehen oder im Radio“, sagt Peterson. Und fügt mit großer Gelassenheit hinzu: „Wir tun nichts, was sich dem Mainstream oder den Medien anbiedert.“ Die Sänger sind in ihren Kutten kaum zu erkennen, also auch nicht als Stars vermarktbar.

Peterson, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, hat den gregorianischen Gesang Ende der 1980er-Jahre in einem Kloster in Spanien für sich entdeckt und ihn als Klangfarbe zunächst bei Enigma eingebracht, wo er sich bereits das Pseudonym F. Gregorian gab. Dass er mittlerweile völlig hinter seinem Projekt verschwindet, empfindet er als befreiend. „Es ist sehr zeitaufwendig und anstrengend, wenn du heute als Star fungierst. So jemand wie Sarah Brightman mag es, zirkuspferdartig aufgerüscht zu werden. Mir ist das total zuwider.“

Richtig leidenschaftlich wird der Popprofi, wenn er über die Musikbranche redet. Und über ihren Wandel. Früher habe ein erfolgreicher Act wie Grönemeyer oder die Toten Hosen bei einer Plattenfirma neun Newcomer finanziert. „Heute finanzieren zehn erfolgreiche Acts drei Newcomer.“ Im Internet ist die Musik verfügbar, Tonträger verlieren an Wert. Das Thema ist nicht neu. Peterson allerdings ist einer der wenigen, der seine Pfründe aktiv verteidigt. Vor fünf Jahren hat er die mächtigen Online-Plattformen YouTube und Google verklagt, weil er selbst bestimmen will, welche seiner Inhalte weltweit abrufbar sind. „Ich und viele andere aus der Branche investieren nach wie vor wahnsinnig viel Geld in die Produktion, in Fotos, Videos, in den Aufbau neuer Künstler. Und dann kommt so ein US-Unternehmen und sagt: Wir geben das einfach kostenlos für den Markt frei. Das finde ich entmündigend, entwertend, enteignend. Die unterwandern das Urheberrecht“, sagt er resolut. Die Prozessakte umfasst mittlerweile mehr als 1000 Seiten. In erster Instanz hat Peterson gewonnen. Im Februar 2015 geht die Sache vors Oberlandesgericht. Das hat nichts mehr mit dem vordergründigen Spaß in den 1980er-Jahre zu tun, sondern sehr viel mit dem komplexen 21. Jahrhundert. Nach wie vor geht es allerdings um: Musik.

Gregorian Mo 8.12., 20.30, Laeiszhalle, Tickets ab 43,90; www.gregorian.de