Eine Doku zeigt, was unsere Nachbarn „Im Keller“ haben

Das erste Zusammenzucken gönnt der österreichische Regisseur Ulrich Seidl seinem Publikum diesmal schon nach wenigen Sekunden: In einem Keller-Terrarium belauert eine Riesenschlange ein Nagetier. Und – zack! – frisst es. Wie fies! Und: Wie spannend! Was vom Unterhaltungskino erwartet wird und was vom Keller, dem österreichischen zumal, das packt Seidl hier so plakativ wie perfide in diese kleine Eröffnungsszene. Eine klare An- und Absage: Ihr wollt mal so richtig ins Untergeschoss eines Österreichers sehen? Könnt ihr haben! Oh, erschrocken?

Dass Seidl früher oder später den Deckel zum ultimativen Untergeschoss der Zivilisation anheben würde, damit wäre auch ohne die Namen Kampusch und Fritzl zu rechnen gewesen. Fand er doch schon etwa in „Tierische Liebe“, „Jesus, du weißt“ oder seiner „Paradies“-Trilogie präzise Zugänge zu den Rand- und Untergrund-Existenzen mitten in der Gesellschaft. Angesichts jener prominenten Kriminalfälle wurde „Im Keller“ jedoch mit besonderer Spannung erwartet. Als könnte Seidl dem noch etwas hinzufügen, eine weitere untere oder höhere Ebene vielleicht.

Aber „Im Keller“ zersetzt in bewährter seidlscher Handschrift, also in ungeschnittenen Einstellungen und streng gebauten Bildern, natürlich wieder die Frage, was gewonnen ist mit dem Siegel der Echtheit. Die mittelalte Masochistin, die sich bei der Caritas um misshandelte Frauen kümmert (der Lacher des Films), die Seniorin, die grauenhaft lebendig aussehende Babypuppen herzt, und die Männer, die sich mit Nazi-Devotionalien umgeben: Sie alle sprechen offen vom Ausleben ihrer Obsessionen in den Krypten ihres Alltags und sie zeigen dabei letztlich nichts anderes als plausible Möglichkeiten des Menschlichen – da wird es egal, ob ein wenig dazu erfunden wurde, wie Seidl über die Baby-Frau sagt, oder eben nicht.

Zwar scheinen alle diese Leute die Fäden ihrer Selbstpreisgabe in den Händen zu halten, sie werden aber so künstlich in den Bildräumen arrangiert, dass im Ungewissen bleibt, wo ihre Souveränität aufhört und wo die Freakshow beginnt. Was, andererseits, bleibt einem hochstilisierten Abgrunds-Kino auch noch zu tun übrig, wenn die Realität den Kellerhorror längst uneinholbar auf die Spitze getrieben hat? Und so wirkt Seidls Reihung befremdlicher Tableaus diesmal fast wie eine resignative Geste, ein bloßes „P.S.“ zu seinen bisherigen Einhegungen des Grauens.

+++-- „Im Keller“ Österreich 2014, 85 Min., ab 16 J., R: Ulrich Seidl, täglich im 3001; http://im-keller.at/