„Die Liegenden“ erzählt von Eltern, die jung, und Kindern, die nicht erwachsen sein wollen

Hamburg. Michele Serra ist in Italien ein bekannter Autor. Aber das, was er in seinem Roman „Die Liegenden“ erzählt (der sich in Italien 350.000-mal verkaufte), das findet täglich auch in Deutschland statt. Jedenfalls in Familien, die heranwachsende Kinder haben, junge Erwachsene, die noch zu Hause wohnen.

Diese großen Kinder kommunizieren pausenlos mit der halben Welt, aber kaum mit ihren Eltern. Sie liegen herum auf Sofa, Bett oder Fußboden, meist verdrahtet mit allem, auf dem man Bilder sehen, Musik hören und telefonieren kann. Aber wenn es darum geht, Teller, Socken, Papier wegzuräumen, wenn eingekauft, gekocht, geputzt, in Keller oder Garten gearbeitet werden soll, dann verweigern sie sich, machen nicht mit, haben gerade etwas anderes zu tun. Die Eltern kommen gar nicht mehr an sie heran.

Michele Serra ist ein Vater, der deshalb vielleicht an seinen 18-jährigen Sohn schreibt. Er liebt ihn ja und will keinen Stress machen. Aber als er mit Freunden früh aufsteht, um einen Weinberg abzuernten, wobei selbstverständlich auch die beiden 18-Jährigen hätten „mit“-helfen sollen, stellt er fest, dass die beiden Jungs selbst um 14 Uhr noch nicht aufgestanden sind, und erklärt: „Eine Welt, in der die Alten arbeiten und die Jungen schlafen, so etwas hat es noch nie gegeben.“

Das Buch bringt entzückend aufwühlende Beispiele totaler Tatenlosigkeit der Jungen: „Alles bleibt an, nichts wird ausgeschaltet. Alles steht offen, nichts wird geschlossen. Alles wird angefangen, nichts beendet.“ „Wenn es dunkel wird, werdet ihr erst wach“, schreibt Serra. Anwürfe perlen an ihnen ab wie Wasser an Öl. Socken- und Geschirrberge, sämtliche Spuren, die Existenzen nun einmal hinterlassen, bleiben erhalten, natürlich auch die in der Kloschüssel.

Michele Serra beschreibt traurig-amüsiert und mit Scharfsinn, warum diese Jugend, warum deren Eltern so sind, wie sie sind. Es sind Beobachtungen aus dem wirklichen Leben, lustige, wahre, schlimme, enttäuschende, verzweifelte und mühsame. Die Eltern wollen ewig jung bleiben, Kumpels ihrer Kinder sein und bloß nicht anecken oder uncool wirken. Und die Jungen? Die klinken sich daraus aus. Und bleiben kindisch.

Das alles klingt Erziehungsberechtigten vertraut. Und wahrscheinlich auch deren Kindern. „Die Liegenden“ ist ein 150 Seiten langer innerer Monolog eines ratlosen, wenn auch liebenden Vaters, der zwischen Nostalgie und beißender Satire, zwischen zarten, beinahe melancholischen Tönen und urkomischen Passagen wechselt. Der Vater, der sich das Buch hindurch eine Wanderung mit seinem Sohn wünscht, wird am Ende überrascht. Die Wanderung findet doch noch statt, zwar anders, als der Vater sich das vorstellte, aber in jedem Fall versöhnlich.