Ein skrupelloser Neuling bedient sich in dem Thriller „Nightcrawler“ des zynischen Nachrichten-Business

Man kann die Frage danach, welche Bilder im Nachrichtenfernsehen Quote bringen, ganz einfach beantworten: „Eine Frau mit durchschnittener Kehle läuft schreiend durch die Straßen eines vornehmen Stadtviertels.“ So zumindest bringt Nachrichtenchefin Nina (René Russo) in Dan Gilroys „Nightcrawler“ die Lage ihrer Branche, der 24-Stunden-News-Sender, auf den Punkt.

Sie will damit dem Neuling Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) klar machen, welches Material er liefern soll. Lou hat ihr gerade seine ersten Aufnahmen angeboten, die er bei einem Autounfall gedreht hat. Nina erkennt ein gewisses „visuelles Talent“ in Lou. Er sei schnell im Lernen, versichert Lou mit zuversichtlichem Grinsen, und wäre „Nightcrawler“ eine Liebeskomödie, wäre das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Aber das Regiedebüt des Drehbuchautors Dan Gilroy ist weder Liebesgeschichte noch Komödie, sondern einer der unheimlichsten und dabei leisesten Thriller der letzten Zeit. Mit „Nightcrawler“ führt Gilroy meisterlich vor, wie sich aus dem alten Klischee, dass im Nachrichtengeschäft stets die schlechtesten Nachrichten die besten sind, etwas Neues spinnen lässt.

Gilroy entstammt dem, was man Hollywood-Adel nennt: Vater Frank hat zahlreiche Drehbücher geschrieben, Zwillingsbruder John arbeitet als Cutter, Bruder Tony bewährte sich wie Dan selbst zunächst als Drehbuchautor, bevor er mit „Michael Clayton“ erfolgreich ins Regiefach wechselte. Diesem illustren Stammbaum verdankt Dan Gilroy die erlesene Besetzung seines Debüts – vor und hinter der Kamera.

Jake Gyllenhaals Lou tritt zu Beginn wie ein Dämon aus dem Dunkel, völlig ohne biografischen Hintergrund oder soziale Verbindungen. Vorgestellt wird er als Dieb von Kleinigkeiten wie Schrottmetall. Seine eigentliche Gabe aber zeigt sich beim Weiterverkauf der Ware: Lou spricht „Business“, als wäre das seine Muttersprache. „Um ein Ticket zu kaufen, muss man zuerst das Geld dafür verdienen.“ Jeder Satz aus seinem Mund scheint einer Anthologie der Selbsthilfe- und Positiv-Thinking-Phrasen zu entstammen, die Credo des American Dream sind. Eines Nachts entdeckt Lou durch Zufall – er wird Zeuge eines Autounfalls – das Geschäftsmodell der sogenannten Nightcrawler: Männer mit Kameras, die den Polizeifunk abhören, um die Fernsehsender als Freischaffende mit Bildmaterial von möglichst frischen und blutigen Tatorten zu versorgen. Ohne Scheu kundschaftet er die nötigen Voraussetzungen aus und legt bald selbst los. Zu schnellem Erfolg verhilft ihm, dass ihm jegliche Skrupel fehlen.

Bald legt er sich einen arglosen Assistenten zu, den er als Praktikanten recht professionell ausbeutet. Seine Tatort-Aufnahmen werden immer „blutiger“ und „frischer“, seine Forderungen an den Nachrichtensender immer dreister. In Gyllenhalls intensiver Darstellung wird Lou Bloom zu einem urbanen Dämonen, in dem sich das Asoziale des Obdachlosen mit der des Selfmademan kurzschließt. Zugleich liefert „Nightcrawler“ ein so faszinierendes wie makabres Porträt der 24-Stunden-News-Branche.

++++- „Nightcrawler“ USA 2014, 117 Min., ab 16 J., R: Dan Gilroy, D: Jake Gyllenhaal, René Russo, Bill Paxton, Riz Ahmed, täglich im Cinemaxx Dammtor, Savoy (OF), UCI Othmarschen/Wandsbek; www.facebook.com/nightcrawler.film