Der Film „Die Mannschaft“ lässt Deutschlands Fußballfans vor dem Winter wieder vom WM-Sommer träumen. Eine Filmkritik von Kai Schiller

Ehre, wem Ehre gebührt. So ist es natürlich Deutschlands Fußball-Nationaltrainer Joachim Löw, dem beim neuen WM-Film „Die Mannschaft“ das Schlusswort gehört. „Wenn man Geschichte schreibt“, so Löw, „dann ist das schon etwas Faszinierendes.“ Das Bild wird dunkel und aus dem Off ist Andreas Bouranis inoffizielle Hymne der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien zu hören: „Ein Hoch auf uns. Auf dieses Leben. Auf den Moment. Der immer bleibt. Ein Hoch auf uns. Auf uns.“

Ziemlich genau vier Monate sind seit diesem „einen Moment, der immer bleibt“, vergangen. Und so war es nur passend, dass es erneut Bourani war, der am Montagnachmittag für den stimmungsvollen Abschluss der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes im Schloss Bellevue in Berlin sorgte. Noch einmal gab der Sänger seinen WM-Song für die gerade von Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière ausgezeichneten Weltmeister zum Besten. Und nach dem letzten „Auf uns“, das die Nationalspieler, Fifa-Präsident Sepp Blatter und sogar die brasilianische Botschafterin Maria Luiza Riberiro Viotti begeistert mit-klatschten, machte Bourani auch noch ein Selfie von sich und der deutschen Mannschaft. Denn am Ende war sie es ja, die an diesem Herbsttag in Berlin im Mittelpunkt stehen sollte: die Mannschaft.

Wirklich lange überlegen mussten die Verantwortlichen vom Deutschen Fußball Bund (DFB) laut Manager Oliver Bierhoff nicht, als es nach dem WM-Titel darum ging, wie der Kinofilm denn nun heißen sollte, der aus 25 Stunden Bildmaterial und von der Fifa bereitgestellten Spielszenen gemacht wurde: „Die Mannschaft“. „Es darf Sie und alle im DFB, die für das Auftreten und den Erfolg mit verantwortlich sind, ruhig mit ein bisschen Stolz erfüllen“, so Bundespräsident Gauck in seiner Laudatio, „dass man auf Französisch jetzt das deutsche Team einfach ,La Mannschaft‘ nennt und auf Englisch ,The Mannschaft‘.“ Die cineastische Verehrung dieser Mannschaft durften sich die Nationalspieler am Abend im Sony Center am Potsdamer Platz anschauen. Das 90-minütige Werk, das später auch im Fernsehen und auf DVD zu sehen sein soll, sei ein Geschenk des Teams an die Fans, so Bierhoff. Und ähnlich wie bei Sönke Wortmanns „Sommermärchen“ nach der WM 2006, als der Erlös von vier Millionen Euro vom DFB gespendet wurden, soll auch diesmal der Gewinn karitativen Zwecken zugutekommen. „Wir hoffen, den Fans die WM damit noch einmal nahezubringen und einen anderen Blickwinkel zu zeigen, wie die Mannschaft das Turnier wahrgenommen hat“, sagt Bierhoff.

Dieser „andere Blickwinkel“ wird bereits in der ersten Szene des Films deutlich. Noch einmal gezeigt wird die berühmt gewordene Freistoßvariante aus dem WM-Achtelfinale gegen Algerien, in der Thomas Müller kurz vor Schluss der regulären Spielzeit scheinbar über seine eigenen Füße stolpert. „Wer denkt, dass ich bei einem Freistoßtrick stolpere, der ist schon mal ganz falsch gewickelt“, sagt Müller in dem Film, der dies umgehend durch den etwas „anderen Blickwinkel“ beweist. Zu sehen ist in der zweiten Einstellung, wie Müller und Co. eben diese Variante im Training einstudieren – natürlich unbeobachtet von den nicht zugelassenen Kamerateams und Medienvertretern.

Somit wird die größte Stärke und zugleich größte Schwäche des Films nach nur wenigen Sekunden deutlich: Wie versprochen vermittelt „Die Mannschaft“ tatsächlich Eindrücke vom Innenleben des Teams, die so wahrscheinlich noch nie zu sehen waren. Der Film bietet Einsichten hinter die Kulissen, die der DFB normalerweise unter allen Umständen nicht preisgeben will. Doch anders als beim „Sommermärchen“, als mit Regisseur Wortmann ein „Außenstehender“ die WM 2006 künstlerisch zu einem Film verarbeitete, sind es im Hier und Jetzt mit den Pressemitarbeitern Hans-Ulrich Voigt (Regie) und seinen Kollegen Martin Christ (Kamera) sowie Jens Gronheid (Cutter) DFB-Mitarbeiter, die eine sehr einseitige Sicht der Dinge erzählen. Wem das egal ist, der darf noch einmal 90 Minuten lang durch die eigenen Erinnerungen an die möglicherweise schönste WM aller Zeiten spazieren gehen.

Gänsehaut ist jedenfalls garantiert, wenn sich Deutschlands Nationalspieler zunächst im Sprachkursus mit dem früheren Kollegen Cacau bei Wörtern wie „muita alegria“ (auf Deutsch: viel Spaß) schwertun, dann aber die brasilianische Seleção im historischen Halbfinale von Belo Horizonte mit derart alegria schwindlig spielen, wie man es bei einer WM noch nie gesehen hat. Die Fans sehen Müller, wie er die Kollegen nach einer verlorenen Golfwette in einem Dirndl bedient. Miroslav Klose darf belustigt erzählen, warum er sich für eine WM-WG mit Toni Kroos, Roman Weidenfeller, André Schürrle, Mario Götze und Shkodran Mustafi entschieden hat: „Ich wollte Spieler, die früh ins Bett gehen.“

Christoph Kramer singt auf der Fähre Ronan Keatings „When You Say Nothing At All“. Und zwischendurch immer wieder Lukas Podolski. Poldi grinsend nach dem 4:0-Sieg gegen Portugual: „Quatro zero.“ Poldi beim Friseur, Poldi mit einer deutsch-brasilianischen Flagge, Poldi mit kleinen Schulkindern aus dem Ort und kurz vor dem Ende: Poldi tanzend mit dem Pokal. Anders als beim Sommermärchen 2006, als der Stürmer auf dem Rasen und im Film eine Hauptrolle übernahm, durfte Podolski bei „Die Mannschaft“ nur im Film glänzen. Dies aber so gut, dass sich der Kölner als eine Art Karnevalsstar unter all den WM-Lausbuben fühlen darf.

Der Kinofilm aus dem Verleih der Constantin Film zeigt den vermeintlich reibungslosen Weg des DFB-Teams vom Trainingslager in Südtirol bis zu den Titelfeierlichkeiten am Brandenburger Tor. Und natürlich ist der Streifen keine kritische Auseinandersetzung – warum auch? Deutschland ist Weltmeister geworden, da verbietet sich doch jegliche Kritik von selbst. Oder?

Sami Khedira lässt sich jedenfalls noch mal bereitwillig dazu interviewen, wie er ins Trainingslager nach Österreich nachreiste und überrascht war über das allzu negative Bild, das die Medien in die Heimat transportieren würden. „Ich habe aus den Medien erfahren, dass in Südtirol schlechte Stimmung gewesen sein soll“, berichtet Khedira, „dann kam ich ins Trainingslager, und da war das genaue Gegenteil.“ Und für wenige Sekunden – in etwa genauso lange, wie man immer wieder das Logo von Sponsor Lufthansa einblendet – wurde pflichtbewusst sogar der Unfall erwähnt, als ein deutscher Tourist nach einem misslungenen PR-Coup schwere Kopfverletzungen davontrug. „Wir haben versucht, das ganze Thema von der Mannschaft fernzuhalten“, sagt Bierhoff, dem man das sofort glaubt.

Doch genörgelt wurde ja ohnehin schon genug. Also lieber ein paar tanzende Brasilianer gezeigt, Capoeira-Tänzer im Campo Bahia, lächelnde Pataxo-Indianer im Kreis der Nationalmannschaft – und natürlich immer wieder Poldi. Es sind überwiegend die gleichen Bilder, die Deutschlands Fans bereits während der WM so oder in ähnlicher Form zu sehen bekamen. Doch es sind schöne Bilder, die man sich gerne auch ein zweites, drittes und auch viertes Mal anschaut. Besonders stolz sei er, sagt Bierhoff, dass sich der DFB-Tross in Brasilien eben nicht so eingeigelt hätte, wie es bisweilen berichtet wurde. Dass dies natürlich nur bedingt der Wahrheit entspricht, ist für den Film unerheblich. Tatsächlich gab es eigentlich nur zwei PR-Termine im Dorf Santo André – mit Schulkindern und den Indianern –, bei denen sich die Nationalspieler auch außerhalb der Mauern vom Campo Bahia zeigten.

Wirklich neu für Kinogänger sind dagegen die Bilder innerhalb des Campos. Denn dort, wo während der WM mithilfe der im Film nicht zu sehenden Militärpolizei kein Fremder eindringen durfte, hat sich das tatsächliche WM-Leben abgespielt. Und dieses Leben – Löw alleine beim Nachdenken, Assistent Hansi Flick bei den Trainingsplanungen, Götze beim Tischtennis, Klose beim Boule und natürlich immer wieder Poldi – können Fußballfans nun erstmals aufsaugen. „Die Welt hat in Brasilien gesehen, wie ein Team funktioniert, dass man nämlich ein Star sein kann und trotzdem für das ganze Team kämpft“, sagt Bierhoff. In „Die Mannschaft“ kann die Welt zudem noch sehen, wie Deutschlands Fußballer immer wieder zwischen Campo, Bus, Fähre, Flugzeug, Bus und Stadion pendeln. Besonders eindrucksvoll ist eine sekundenlange Sequenz, in der ein erschöpfter Bastian Schweinsteiger mit Mühe dagegen ankämpft, mit dem Kopf gegen das Busfenster zu knallen.

Muss man „Die Mannschaft“ also gesehen haben? Als Fußballfan auf jeden Fall. Unbedingt. Ganz bestimmt. Und alle anderen? Wohl eher nicht.

Was der Film übrigens leider nicht zeigt: Anders als immer wieder behauptet, hat die deutsche Nationalmannschaft sehr wohl auch in ihrem Quartier in Santo André etwas Bleibendes hinterlassen. Seit Neuestem gibt es in der 800-Seelen-Gemeinde einen Hund, einen Pinscher. Sein Name: Podolski.

An diesem Dienstag wird „Die Mannschaft“ als Preview in allen Cinemaxx-Kinos in Hamburg ab 20 Uhr gezeigt, ab Donnerstag läuft der Film regulär.