Der Dokumentarfilm „Citizenfour“ wirft einen parteiischen, aber anregenden Blick auf Edward Snowden

Während des Interviews geht die Alarmanlage an. Edward Snowden, von Hause aus Informatiker, und die Journalisten Glen Greenwald und Ewen MacAskill sitzen mit der Regisseurin Laura Poitras in einem Hotelzimmer in Hongkong. Sie reden über die Daten, die die NSA-Behörde sammelt. Sie reden darüber, wie sie an die Daten gelangen. Und sie reden über die globale Überwachung durch die Geheimdienste. Da kann so ein Feueralarm schon ein wenig beängstigen.

„Ist das schon vorher passiert?“ fragt Greenwald. „Die warten auf mich“, sagt Snowden. Er ruft die Rezeption an. Es ist nur eine Wartungsarbeit beim Feueralarm. Aber die Szene veranschaulicht, wie paranoid beide Seiten sind, die Agenten genauso wie diejenigen, die die Macht der Geheimdienste und die Möglichkeiten, die die digitale Datenübertragung bieten, fürchten.

Der Dokumentarfilm „Citizenfour“ geht über einen Menschen, über den sich die meisten bereits eine Meinung gebildet haben. Für die einen ist Edward Snowden ein Verräter, der sich durch die Flucht – ausgerechnet – nach Moskau endgültig diskreditiert hat. Für die anderen ist ein Snowden ein verdienstvoller Whistleblower, der die gesetzlosen Praktiken der US-Regierung offengelegt und den Friedensnobelpreis verdient hat.

Ein intellektuell erledigter Fall ist Snowden damit noch lange nicht – und das liegt, wenngleich unbeabsichtigt, an der Regisseurin. Sie sei keine Anwältin, sondern eine Journalistin, hat Laura Poitras in einem Interview gesagt. Das ist ziemlicher Quark, denn der Film ist maximal parteiisch. Präsident Obama, die Anwälte der Regierung, die Verantwortlichen der Geheimdienste – sie lügen, sie stammeln, sie weichen in den Filmschnipseln aus. Im dunklen, pädagogischen Ton, der zuweilen etwas von Schüler-TV hat, soll auch dem Unbedarftesten klar gemacht werden, wer hier Robin Hood und wer der Sheriff von Nottingham ist. Edward Snowden wird uneingeschränkt und über lange Passagen Zeit eingeräumt: „Ich möchte mich selbst nicht zur Story machen.“ Man nimmt ihm das sofort ab, er wirkt uneitel, aufgekratzt, verschüchtert. Er sieht das Land in Gefahr.

Edward Snowdens Sicht ist so nobel, dass sich der Zuschauer automatisch Gedanken über die Politiker machen muss. Ist deren Kalkül tatsächlich so sinister oder ist es vielleicht urdemokratisch, weil eine Mehrheit der Bürger ihre Sicherheit fürchtet und dafür bereit ist, Freiheitsrechte aufzugeben? Und welche Freiheit genau wird hier aufgeben? Die Geheimdienste können die Profile der Bürger erstellen – je mehr sie digital unterwegs sind, desto genauer sind sie. Doch welchen Wert haben sie? Die Informationen der Stasi haben den Untergang der DDR nicht verhindert, genauso wenig wie der CIA den Aufstieg der Isis stoppen konnte. Die Vermutung, dass beide Seiten – Geheimdienste und Geheimdienst-Kritiker – den Wert der Daten überschätzen, räumt der Film nicht aus. Was bleibt, ist Mitleid mit Edward Snowden, der so viel riskiert hat und in einem Jahr seine Jungenhaftigkeit verloren zu haben scheint. Laura Poitras ist ein anregender, spannender Film gelungen. Und das, obwohl das Ende bekannt war.

++++- „Citizenfour“ D/USA 2014, 114 Min., ab 6 J., R: Laura Poitras, D: Edward Snowden, Glenn Greenwald, Jacob Appelbaum, täglich im 3001 Kino (OmU), Abaton (OmU)