Ein junger Anwalt erteilt in dem packenden Drama „Im Labyrinth des Schweigens“ wertvollen Geschichtsunterricht

Es ist eine Bundesrepublik, die wir kaum erkennen. Oh ja, sie weist schon alle äußeren Zeichen der Nachkriegswohlstandsdemokratie auf, die Käfer rollen, die Innenstädte sind aufgebaut, und die Fräuleins stöckeln im Petticoat herum. Aber da klafft eine riesige Lücke in „Im Labyrinth des Schweigens“. Wir schreiben das Ende der 50er-Jahre. Und ein Künstler, der in Auschwitz seine Kinder verlor, entdeckt auf einem Schulhof einen seiner Peiniger wieder – als Lehrer. Er geht zur Polizei, aber die will die Anzeige nicht aufnehmen, der Oberstaatsanwalt wiegelt ab, und ein Staatsanwalt fügt hinzu, Auschwitz sei doch nur ein Schutzhaftlager gewesen. Wozu also die Aufregung?

Der Modus von Giulio Ricciarellis Kinodebüt ist einer des Staunens, auf der Leinwand wie vor der Leinwand. Da ist das Staunen des heutigen Publikums, das kaum begreift, wie man 15 Jahre nach Kriegsende nichts von den Grauen der KZ wissen kann, und da ist das Staunen der Hauptfigur: Ein junger Staatsanwalt, bisher mit Verkehrsdelikten beschäftigt, soll plötzlich gegen Nazi-Verbrecher ermitteln. Wie, sind die nicht schon in Nürnberg verurteilt worden? Sollen nun auch die „Nur-Befehlsempfänger“ vor Gericht?

Das Schöne am „Labyrinth“ ist, wie diese doppelte Unwissenheit ineinander greift. Wir kennen Nierentische und Heinz-Erhard-Filme, haben jedoch keine Ahnung von der geistigen Verfasstheit der Adenauer-Republik. Johann Radmann, der Jungjurist, kennt Hitler und Stalingrad und muss nun Auschwitz und Treblinka erlernen. Radmann, ein Amalgam aus drei jungen Juristen an der damaligen Frankfurter Staatsanwaltschaft, forscht sich nun wie ein investigativer Reporter durch das Kartell des Schweigens.

Alexander Fehling spielt ihn, und man kann sich fragen, ob Ricciarelli seinem Helden nicht etwas viel aufbürdet, einen Vaterkomplex, eine Geliebte mit Nazi-Familie und auch noch die Jagd auf Josef Mengele, der in West-Deutschland ungehindert ein- und ausgeht. Fehling jedoch trägt sämtliche Lasten überzeugend.

Es gibt einen im „Labyrinth“, der begreift, wie das alles zusammenhängt. Der Jude und Ex-KZ-Häftling Fritz Bauer war hessischer Generalstaatsanwalt und besaß die Rückendeckung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, hatte aber Feinde überall. So wie Gert Voss ihn spielt, ist er müde, nahe der Resignation und sucht junge Hilfe; zwischen ihm und Fehling entwickelt sich ein komplexes Vater/Sohn-Verhältnis. Gert Voss ist das Ereignis von „Im Labyrinth des Schweigens“, er stellt Bauer als extrem beherrscht dar – und doch glaubt man den Vulkan innen brodeln zu sehen.

++++- „Im Labyrinth des Schweigens“ D 2014, 122 Min., ab 12 J., R: Giulio Ricciarelli, D: Alexander Fehling, Gert Voss, Friederike Becht, täglich im Abaton, Holi, Koralle, Zeise