Das neue Digital-Magazin „Van“ spielt mit seinem Namen auf Beethoven an, die Themenmischung der Tablet-Lektüre bietet auch Zeitgenössisches.

Hamburg. Ein Titelbild aus bewegten Tönen, das schafft kein gedrucktes Medium. Nach dem Laden der zweiten Ausgabe von „Van“ wabern Kreise, Linien und Farben wie psychedelisch aufgeheizt über den Tablet-Bildschirm: Alfred Schnittke, Concerto grosso Nr. 1. Eines jener Stücke, in denen der Wahl-Hamburger Komponist seine Stilmixturen so virtuos anrührte. Scheinbarockes aus der Gegenwart. Nicht die schlechteste Einstiegsdroge, um neugierig zu machen auf das Dahinter.

„Van“ ist aber nicht, wie der Name vermuten lassen könnte, eine Gleichgesinnten-Publikation für die Freunde bulliger Nutzfahrzeuge. Die drei Buchstaben erinnern an den Wiener Klassiker Ludwig van Beethoven; sie sind vielleicht auch eine kleine, nicht besonders gut versteckte Anspielung auf den sympathischen Ehrgeiz der Digitalmagazin-Macher, ähnlich radikal zu Werk zu gehen. Denn während fast alle gedruckten Klassik-Magazine sich sehr den vermeintlichen Publikumswünschen fügen und im Zweifelsfall lieber ein handzahmes Virtuosen- oder Diven-Interview nach dem anderen abfahren, gönnt sich das kleine Redaktionsteam mit Sitz in Berlin den Luxus, eher auf Spezielles und Randständigeres zu setzen: In der aktuellen Ausgabe geht es beispielsweise um den ebenso atemberaubend schweren wie unbekannten Variationszyklus „The People United Will Never Be Defeated“ des Amerikaners Frederic Rzewski, den der Pianist Igor Levit vor einiger Zeit umwerfend gut eingespielt hat. Ein weiterer Text philosophiert über den einen, dramaturgisch aber so wichtigen Moment der Stille in Händels „Ode for the Birthday of Queen Anne“, in dem sich die Bedeutungsschwere dieser pompösen Huldigung an Macht und Politik bündelt. Die Erstausgabe wartete unter anderem mit einem Hausbesuch in Richard Strauss’ Villa in Garmisch-Partenkirchen auf, aber auch mit einem streitbar angespitzten Text des Komponisten Moritz Eggert über die ihn nervende U- und E-Musik-Unterteilung.

„Van“ ist nicht das erste Projekt, das Klassik zum buchstäblichen Anfassen aufs Tablet bringt: Die Deutsche Grammophon bietet umfangreich aufgerüschte Interpretationsvergleiche von Beethovens Neunter und Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ an, das Concertgebouw Orchestra Amsterdam spielt sich selbsterklärend durch Brahms’ Dritte, Esa-Pekka Salonen moderiert durch Meisterwerke aus verschiedenen Epochen – und war im Mai Hauptdarsteller in einem iPad-Werbespot, der schildert, wie dieser zeitgenössischer Komponist und Dirigent arbeitet. Es gibt Apps, die das Funktionieren eines Orchesters erklären und andere, die daran scheitern, die Aufgabe eines analogen Musiklehrers zu übernehmen.

Veröffentlichungs-Aktualität, immer gerade den frischen Text zur frischen CD und besonders viel Zeug für die Vorweihnachtszeit, diese auf den Markt schielende Perspektive scheint im „Van“-Konzept keinen Platz haben zu sollen. Und dass es Schnittkes Klassiker der Moderne auf die Einstiegsseite geschafft hat, ist keinem Zufall zu verdanken, sondern der kalendarischen Tatsache, dass der Komponist am 24. November vor 80 Jahren geboren wurde. Weiter hinten in der App erinnert sich Jürgen Köchel, seinerzeit dessen Verleger beim Hamburger Musikverlag Sikorski, an die Zusammenarbeit mit Schnittke. Und da diese App auf angenehm dezente Weise die crossmedialen Fähigkeiten eines Tablets nutzt, bekommt der Leser auch Köchel selbst im O-Ton zu hören. Weitere Hamburgensien in der aktuellen Ausgabe sind neben einem Auszug aus Kent Naganos Klassik-Plädoyer „Erwarten Sie Wunder!“ auch ein Vorab-Resümee-Interview mit Generalmusikdirektorin Simone Young, die nach dem Abschied von der Dammtorstraße nach England ziehen und mehr in Asien und Australien dirigieren will. Dazu kommt eine Reportage über den Resonanzraum, die neue Heimat vom Ensemble Resonanz im Medienbunker an der Feldstraße.

Links zu Videos oder Musikbeispielen sind ohnehin als Ergänzung intelligent eingesetzt; das Layout der Artikel drängt sich nicht auf und zwingt einen nicht dazu, ständig hier, da oder dort klicken zu müssen, um dem Erzählfluss zu folgen. 30 Themen sind im Menü der zweiten Ausgabe verzeichnet, vom gelungenen Porträt bis zum mäßig amüsanten Rezensieren von CD-Covermotiven. Charmant, weil das eigene Geschmackszentrum anregend, ist das Format „Da ist Musik drin“, in dem stimmungsvolle Fotografien mit liebevoll ausgewählten Klassik-Stücken unterlegt wurden. Kleiner Aufwand, große Wirkung.

Für „Van“ geplant ist ein vierteljährlicher Erscheinungsrhythmus. Automatisch reich oder berühmt werden kann so natürlich niemand. Das wissen die Macher, aber es scheint ihnen ziemlich egal zu sein.

„Van“ ist für 4,99 Euro pro Ausgabe in den App Stores für iOS und Android erhältlich. Infos: www.van-magazin.de