Die Tragikomödie „Bornholmer Straße“ erinnert an den Fall der Mauer. Regisseur Christian Schwochow erzählt eine Geschichte, die viel mit seiner eigenen Biografie zu tun hat

An Sendungen zum Thema Mauerfall-Jubiläum gibt es in diesen Tagen keinerlei Mangel, aber „Bornholmer Straße“ sollte man sich tatsächlich nicht entgehen lassen. Der Film erzählt die Ereignisse am gleichnamigen Berliner Grenzübergang am 9. November 1989 auf ganz ungewöhnliche Weise als Tragikomödie.

Nach der berühmten Pressekonferenz von SED-Funktionär Günter Schabowski („Das tritt nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich“) mit der er – bewusst oder unbewusst – die Grenzöffnung einleitet, herrscht Verwirrung und ungläubiges Staunen. Wie hat er das gemeint? Zunächst ist alles ruhig am Grenzübergang. Aber bald schon kommen die ersten DDR-Bürger und wollen in den Westteil der Stadt. Die Grenzer sind irritiert. Wie sollen sie sich verhalten? Oberstleutnant Harald Schäfer versucht verzweifelt seinen Vorgesetzten zu erreichen, aber der flüchtet sich in Ausreden. Immer mehr Menschen kommen zur Bornholmer Straße. Da trifft Schäfer schließlich eine folgenschwere Entscheidung.

Charly Hübner brilliert in der Hauptrolle, an seiner Seite spielen Milan Peschel, Ulrich Matthes und Rainer Bock. Inszeniert hat den Film der Regisseur Christian Schwochow, seine Eltern haben das Drehbuch geschrieben. Produziert hat ihn die Ufa Fiction mit Schwochows Lehrer Nico Hofmann. Ein ungewöhnlicher Hintergrund für eine außergewöhnliche Geschichte.

Hamburger Abendblatt:

Sie erzählen Zeitgeschichte, die in diesem Fall aber viele autobiografische Bezüge hat. War das ein spezieller Reiz für Sie?

Christian Schwochow:

Ich muss immer etwas finden, was mit mir zu tun hat. Es muss nicht autobiografisch sein, aber ich bin auch kein Filmemacher, der handwerklich Unterhaltung für eine bestimmte Zielgruppe herstellt. Der Film war aber ursprünglich gar nicht für mich gemeint. Meine Eltern haben zwar das Drehbuch geschrieben, aber ich hatte die Nase von diesen DDR-BRD-Geschichten eigentlich voll. Ich hatte ja bereits „Der Turm“ und „Westen“ (gerade bei Senator auf DVD erschienen, d. Red.) inszeniert und musste mich schon fragen lassen, ob ich im Nebenberuf Zeitzeuge bin. Über das Thema Mauerfall dachte ich: Das kann man, muss man aber nicht machen. Dann hat mir Heide (seine Mutter, d. Red.) das Treatment zum Lesen gegeben. Das war schon so gut, dass ich dachte: Das muss ich machen, das darf kein anderer! Da war dieser spezielle Witz schon zu lesen, das hat mich begeistert. Dann haben wir es zusammen weiter vorangetrieben.

Was hat Sie letztlich an diesem Thema gereizt?

Schwochow:

Dieser Herbst 1989 ist so sehr unter unserer Haut. Bei uns zu Hause wurde jeden Tag der Zustand unseres Landes diskutiert. Meine Eltern waren damals noch jung und hatten ein aufregendes, sehr bewegtes Leben in der DDR. Mein Vater war im Gefängnis, als er 18 Jahre alt war, weil er einen Fluchtversuch begangen hatte. Meine Mutter kommt aus einer Familie, die ganz staatsergeben war. Wir haben 1989 in Ost-Berlin gewohnt, in der Nähe der Bornholmer Straße, gleich bei der Gethsemane-Kirche, wo ich Teil der Gemeinde war. Wir haben die allererste Mahnwache erlebt, als nur 20 Leute kamen, am Ende waren es 5000. Die Demonstrationen, bei denen es Treibjagden der Polizei gab, fanden unter unserem Fenster statt. Da hatten meine Eltern ihren Ausreiseantrag aber schon gestellt. Es gibt keine Zeit, die mir emotional so präsent ist, auch wenn ich einige Details sicher vergessen habe. Auch wenn ich Ihnen jetzt wieder davon erzähle, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Es ist Geschichte, es ist unsere Geschichte und meine. Es ist immer gut, wenn man von etwas erzählt, das man kennt.

Es tut Filmen gut, wenn sie nicht nur versuchen, Geschichte nachzuerzählen, sondern eine besondere Sicht auf die Ereignisse haben.

Schwochow:

Die kam schon daher, dass meine Eltern so ein ambivalentes Verhältnis zum Staat hatten. Sie wollten erst etwas verändern, dann ausreisen und wurden auch im Beruf heruntergestuft. Und doch ist ihr Blick auf diese Zeit ohne Hass und ohne Anklage, weil es eben auch einen Alltag gab. Mein Vater hatte viel mit der Staatssicherheit zu tun. Trotzdem kann er sich heute diesen Männern humorvoll widmen.

Es geht auch um das Verhältnis von Befehl, Gehorsam und Verantwortung. Das war nicht nur 1989 ein deutsches Thema.

Schwochow:

Nein. Wir leben in einer Konsensgesellschaft. Der Gehorsam spielt heute wieder eine stärkere Rolle. Ich finde es zum Teil absurd, wohin wir uns wieder entwickeln.

Brodelt es unter der Konsensdecke?

Schwochow:

Bei mir zumindest. Es gibt andere, die merken es gar nicht oder sind ganz zufrieden mit dem Leben in dieser Zeit. Wir sind mit zu vielen Dingen einverstanden. Wir haben zu Recht allergrößte Wut auf das Treiben der Staatssicherheit vor 1989 und nehmen dabei stillschweigend zur Kenntnis, dass wir auch heute überall und jederzeit abgehört und unsere Wege kontrolliert werden. Darüber regt sich doch kaum noch jemand auf.

Sind wir abgestumpft?

Schwochow:

Unkritisch.

Wie kommt das? Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg doch auch kritische Generationen.

Schwochow:

Das muss ich wohl meine Generation fragen. Ich versuche es herauszufinden, aber es ist schwer.

Wann ist Ihnen das aufgefallen?

Schwochow:

Vor zwei, drei Jahren erst. Es ist doch seltsam, wie man immer wieder anfängt, sich zu arrangieren. Es ist offenbar nicht mehr zeitgemäß, sich für die Allgemeinheit zu engagieren. Heute sagt man: Ist doch egal, wenn IBM meine Daten hat. Ich mache ja nichts Schlimmes. So klein ist unser Denken schon! Das treibt mich um.

Eine gute Herausforderung für einen Filmemacher.

Schwochow:

Dieser Film soll ein Beitrag dazu sein. Ich beginne jetzt mit den Dreharbeiten zur Ken-Follett-Verfilmung „Die Pfeiler der Macht“. Sie spielt im viktorianischen England, einer sehr durchformatierten Gesellschaft. Ich will untersuchen, wie Regeln eine Gesellschaft zusammenhalten und wie sie am Ende dazu führen, dass sie wieder auseinanderfällt.

Sie haben bei Nico Hofmann studiert. Was haben Sie von ihm gelernt?

Schwochow:

Meine eigenen Themen zu finden. Ich war nie einer der Lautesten, bin deshalb in Aufnahmeprüfungen auch oft abgelehnt worden. Ich dachte häufig: Ich muss mich verändern, ein anderer sein. Nico ist jemand, der genau hinguckt und die Dinge auch benennen kann. Der deine Stärken erkennt und sie beschreibt. An meine Eigenheiten zu glauben habe ich bei ihm gelernt.

„Bornholmer Straße“ Mi, 20.15 Uhr, ARD. „Die Nacht des Mauerfalls“ Bornholmer Straße – Die Dokumentation“ Mi, 21.45 Uhr, ARD