Nur die Davidstraße erinnert mit ihren Kaschemmen und den Prostituierten, die vom Lukullus aufgereiht bis zur Herbertstraße stehen, noch heute an den alten Kiez. Anfang der 80er-Jahre aber stand ganz St. Pauli für Rotlicht und sexhungrige Seeleute, gaffende Touristen waren in der Unterzahl. Damals zog der junge Schauspieler Michael Weber aus dem Vorort in die große Stadt – von Pinneberg direkt in die Davidstraße 5. Die Mieten waren billig, das Bier in den Kneipen auch. Weber wohnte im vierten Stock, über ihm lebten Ernst und Martha Ihde, ein altes, etwas verschrobenes Paar, und ihr Hund Tarzan. Man freundete sich an, Hausgemeinschaft galt damals noch etwas.

30 Jahre nach der ersten Begegnung mit der immer auffällig gekleideten Seniorin erinnert Weber sich an Martha und hat ihr ein ganzes Buch gewidmet. Er nennt „Martha“ (Laika Verlag, 224 S., 18 Euro) einen Roman, doch es ist mehr eine autobiografische Erzählung seiner Zeit auf St. Pauli.

Weber, inzwischen Ensemblemitglied des Deutschen Schauspielhauses, rückt zwar die Nachbarin in den Fokus und beschreibt viele skurrile, lustige und traurige Episoden aus Marthas Leben. Mindestens ebenso breiten Raum aber nehmen seine eigenen Gedanken über das Viertel ein.

Weber ist ein Zeitzeuge der Straßenkämpfe um die Häuser in der Hafenstraße und des Niederganges des Sex-Gewerbes auf dem Kiez. In „Martha“ verdeutlicht er zugleich auch seine politische Haltung und sein Unbehagen, am Thalia Theater in Stücken auf der Bühne zu stehen, denen es an Haltung fehlt. „Martha“ ist nicht nur eine Hommage an eine besondere Frau, sondern auch an ein Viertel mit rauem Charme.

Michael Weber liest, Fr, 24.10. 20.00, Malersaal des Deutschen Schauspielhauses, Kirchenallee. Musik: Christian Elmar Schalko von der Band Zucker und Hans Stützner. Karten zu 12,-, (erm. 7,-) unter T. 24 87 13