Christian Rizzo zeigt furioses mediterranes Männertanztheater auf Kampnagel

Acht Tänzer treten auf, scheinbar in Alltagskleidung in verschiedenen Grauabstufungen. Sie gruppieren sich zu zweit, zu dritt, schließen sich zu einem großen Kreis zusammen. Sie halten sich an den Schultern und lassen ihre meist überschulterlangen Haare fliegen. Doch, auch das kann Tanz sein. Christian Rizzos Produktion „Nach einer wahren Geschichte“ (D’après une histoire vraie) lieferte den Sensationserfolg beim Festival d’Avignon 2013. Am Schluss riss es die Besucher von den Sitzen. Das lag nicht nur an den sich langsam von der zarten Geste in einen regelrechten Trance-Rausch tanzenden Männern, zwei Schlagzeuger heizen dem Abend mit ihrem polyrhythmischen Spiel ordentlich ein. Vom 9. bis 11. Oktober gastiert die Tanzproduktion auf Kampnagel als Teil des gemeinsam mit der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius lancierten dritten Zukunftscamps „.vernetzt#“.

Choreograf Christian Rizzo, von Haus aus Bildender Künstler, Modedesigner, Visueller Künstler, Discogänger, aber auch Rockmusiker, ließ sich vor zehn Jahren von einer rituellen Tanzvorstellung im türkischen Istanbul inspirieren. Mutmaßlich ein traditioneller Horon oder Dabke. Die Erfahrung ließ ihn nicht mehr los und so suchte er nach einer passenden, zeitgenössischen Form. Ein typisches Vorgehen Rizzos, der von der französischen Choreografin Mathilde Monnier entdeckt wurde und durch die Art, wie er den Körper im Raum denkt, wichtige Impulse für den zeitgenössischen Tanz lieferte.

Die Aufführung thematisiert den Übergang von Individuum zu Gruppe

In „D’après une histoire vraie“ ist die Szenerie bewusst schlicht gehalten. Ein graufarbener Untergrund mit einer Pflanze in der Ecke, auf dem die Schlagzeuger die Akteure bis zur totalen Bewegungsekstase aufpeitschen. Die Verbindung aus Folklore und zeitgenössischem Tanz, aus archaischer Bewegung und zeit- und ortloser Abstraktion ist es, die die Faszination dieser Produktion ausmacht.

Rizzo lädt seine Inspiration zu einer Reflexion über die Vielfältigkeit von Männerbeziehungen auf, von sentimental bis machohaft, als Individuum und in der Gemeinschaft. In der grauen Kleidung und dem einheitlichen Auftreten der Bart tragenden Männer lösen sich Fragen über Individualität in der Gruppe auf. Er wisse, so Rizzo, dass es für manche kulturellen Praktiken keine Begriffe gebe. „Ich versuche aus ganz einfachen, elementaren Mustern Varianten zu entwickeln, ähnlich wie es Steve Reich in der Musik getan hat. Der Rhythmus ist dabei ein ganz entscheidender Faktor, wird aber schnell als folkloristisch empfunden.“

In Hamburg kennt man Christian Rizzo bislang noch nicht. Das dürfte sich nun gründlich ändern.

Christian Rizzo: „D’après und histoire vraie“ (Nach einer wahren Geschichte) 9. bis 11.10., jew. 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten 8,- bis 32,- unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de