„Jack“ ist ein aufrüttelndes Drama um streunende Kinder

Was fühlt denn ein Mensch, und was soll er antworten, wenn er gerade durch die Hölle gegangen ist und dann von einem Nahestehenden die Smalltalk-Frage gestellt bekommt: Und, was hast du so gemacht in letzter Zeit?

Mit „Jack“ haben der Regisseur Edward Berger und seine Co-Autorin Nele Mueller-Stöfen einen Film über genau diese Art namenloser Einsamkeits-Pein gedreht. Die Hauptfigur: ein zehnjähriger Berliner Junge, der ein Wochenende lang zusammen mit seinem kleinen Bruder Manuel (Georg Arms) zum Vagabunden wider Willen wird.

Die Mutter der beiden, Sanne (flatterhaft kraftvoll: Luise Heyer), ist ihren Kindern zwar herzlich zugewandt, jedoch ist sie auch selten zu Hause, mal wegen der Arbeit, mal wegen einer neuen Liebe, und eines Tages ist sie verschwunden. Schon hier schafft es der Film, dass man sich, als Erwachsener, unwillkürlich fragt, was man selbst in dieser Situation tun würde. Jack macht sich mit Manuel also auf die Suche nach der Mutter; in die Wohnung können sie nicht, der Schlüssel ist weg, und mangels Handy darf Jack ständig die inzwischen ausgestorbene Frage stellen: „Gibt es hier ein Telefon?“

Nie wird geklagt, alle Energie und Konzentration werden darauf verwendet, einen Platz zum Schlafen, ein wenig Nahrung, ein bisschen Wasser zu finden und die Gegner – das Jugendamt – nicht auf sich oder die verschollene Mutter aufmerksam zu machen. Und um eine alte Schuld zu begleichen. Schuld wird hier ohnehin weder aufgeklärt noch zugewiesen; sie treibt an.

„Jack“ ist großes Erwachsenenkino: Inmitten eines gleichgültigen Berlins geht hier einer ganz leise den Weg eines klassischen Western-, Horror- oder Stasidrama-Helden, kämpft gegen sichtbare und unsichtbare Mächte und trifft am Ende eine weise, eine harte, eine einsame Entscheidung.

++++- „Jack“ D 2014, 103 Min., ab 6 J., R: Edward Berger, D: Ivo Pietzcker, Georg Arms, Luise Heyer, täglich im Abaton; www.jack-film.de