In der Ausstellung „Pompeji. Götter, Mythen, Menschen“ zeugen Fresken und Kunstwerke vom Luxus der untergegangenen Stadt am Vesuv

Hamburg. Untergangsszenarien haben ihren eigenen Reiz, und unter den großen Katastrophen der Kulturgeschichte nimmt das beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. verschüttete Pompeji im Publikumsinteresse nach wie vor einen Spitzenplatz ein. Bis zu drei Millionen Menschen pilgern jährlich in ganzen Busladungen auf das riesige Ruinenfeld am Golf vom Neapel, wo die antike Stadt Mitte des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt und anschließend Stück für Stück ausgegraben wurde. Dabei vermittelt der Besuch in Pompeji zwar ein Gefühl für die Größenverhältnisse, die räumlichen Zusammenhänge und die einzelnen Funktionsbereiche der Stadt, deren alltägliches Leben dem heutigen Besucher vor Ort dennoch merkwürdig abstrakt erscheint. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die großartigen Fresken, die man im 18. und 19. Jahrhundert in den Villen und Stadtpalais entdeckte, aus konservatorischen Gründen entfernt wurden. Heute befinden sie sich größtenteils im Archäologischen Nationalmuseum Neapel, das insgesamt 84 kostbare Fresken, Marmorreliefs, Statuen, Schmuckstücke und Möbelfragmente für die Ausstellung „Pompeji. Götter, Mythen, Menschen“ zur Verfügung gestellt hat. Ab Sonnabend ist sie im Bucerius Kunst Forum zu sehen. Thematisch knüpft die Ausstellungshalle der „Zeit“-Stiftung damit an ihre Ausstellungen zur Kultur der Etrusker (2004) und zu den Gräbern von Paestum (2007) an.

Anders als bei den anderen Pompeji-Ausstellungen der letzten Jahre, die in Halle, Madrid, London und München zu sehen waren, nimmt die Hamburger Schau jedoch nicht die Katastrophe vom Jahr 79 zum Ausgangspunkt, sondern versucht anhand der Wandmalereien und Kunstwerke, mit denen die reichen Bürger der Vesuv-Stadt ihre Wohnräume schmückten, das Lebensgefühl und den Alltag der Menschen in der glücklichen Zeit davor anschaulich zu machen. Andreas Hoffmann, der Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums, und Valeria Sampaolo, die Direktorin des Archäologischen Nationalmuseums Neapel, haben als Kuratoren einen doppelten Ansatz entwickelt, indem sie im oberen ersten Ausstellungsraum die gesamte thematische Bandbreite der pompejanischen Kunst mit großartigen Werken ausbreiten, während sie im unteren Oktogon anhand eines konkreten Hauses dem „Sitz im Leben“ nachspüren.

„Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte“, notierte Goethe im März 1787 nach einem Besuch im Pompeji, und wer die auf den Wandgemälden dargestellten verliebten Götter und Heroen, die ländlichen Heiligtümer und die idyllischen Villen mit Meerblick betrachtet, ist geneigt, dem Dichterfürsten recht zu geben. „Interessant ist aber auch, welche Themen hier nicht dargestellt werden“, sagt Andreas Hoffmann, und nennt Politik, Gewalt und Szenen aus dem Arbeitsleben.

17 Jahre nach dem großen Erdbeben brach auch noch der Vesuv aus

Insgesamt dokumentieren die Wandfresken, die nicht nur aus Pompeji, sondern auch aus dem gleichfalls verschütteten Herculaneum stammen, eine mehr als 200-jährige Geschichte der römischen Malerei, die der deutsche Gelehrte August Mau (1840–1909) in vier Stile eingeteilt hat: Der Marmorimitation des ersten Stils folgten Architekturmotive, ornamentale Kompositionen und schließlich die fantastischen Bildwelten des vierten Stils. Dass in Pompeji der vierte Stil dominiert, ist dem verheerenden Erdbeben des Jahres 62 n. Chr. geschuldet, das weite Teile der Stadt zerstört hatte, was wiederum ein Wiederaufbau- und Renovierungsprogramm notwendig machte, das beim Ausbruch des Vesuvs noch in vollem Gange war.

Im unteren Oktogon geht die Ausstellung einen völlig neuen Weg, indem sie erstmals die gesamte erhaltene Ausstattung eines Stadtpalais, die neben den Wandfresken auch Skulpturen aus Bronze und Marmor, ein großes Mosaik sowie Kultgeräte und Schmuckgegenstände umfasst, so weit wie möglich im ursprünglichen räumlichen Zusammenhang präsentiert. Hier geht es um die Casa del Citarista (Haus des Kitharaspielers), die an der Kreuzung der beiden Hauptgeschäftsstraßen, der Via dell’Abbondanza und der Via Stabiana, liegt und zu den größten und prächtigsten Stadtpalästen in Pompeji gehörte. Ein Glücksfall ist der Umstand, dass sich aufgrund von Inschriften die Besitzerfamilie ermitteln ließ, von deren Mitgliedern auch Bildnisse erhalten sind. Die Familie der Popidier gehörte zur absoluten Oberschicht, was sich deutlich im Luxus des Hauses widerspiegelt, das sich auf einer Grundfläche von 2700 Quadratmetern erstreckt. Da das Bucerius Kunst Forum insgesamt über nur etwa 800 Quadratmeter Grundfläche verfügt, konnte es hier nicht um eine komplette 1:1-Rekonstruktion gehen, dennoch gewinnt der Besucher durchaus den Eindruck, die privaten Räume einer steinreichen Familie zu betreten. Zum Beispiel den von einem Säulengang umgebene zentralen Innenhof, der Peristylium genannt wird, und in dem ein Wasserbecken und Brunnenfiguren in Gestalt wilder Tiere zu sehen sind.

Ob der anmutige Gott jemals musiziert hat, wird für immer Spekulation bleiben

Zu den eindrucksvollsten Kunstwerken, die in der Casa del Citarista gefunden wurden, gehört die fast lebensgroße Bronzestatue des Apollon, die aus dem späten ersten vorchristlichen Jahrhundert stammt und dem Haus seinen Namen gab. Der jugendliche Gott hält den Kopf leicht gesenkt und blickt – so wurde vermutet – auf eine Kithara, eine Art Gitarre, die allerdings verschwunden ist. Ob dieser anmutige Apollon jemals musiziert hat, muss Spekulation bleiben, wie auch manche andere These zu der versunkenen Stadt, von deren Leben und Alltag uns die Hamburger Ausstellung dennoch eine plastische Vorstellung vermittelt.

Pompeji. Götter, Mythen, Menschen. Bucerius Kunst Forum. Rathausmarkt 2. 27.9.2014–11.1.2015, tgl. 11.00–19.00, Do bis 21.00Ein Video vom Aufbau der Ausstellung und einen virtuellen Rundgang finden Sie unter www.abendblatt.de/pompeji