„Diplomatie“ ist ein Geschichtsfilm, wie er eindringlicher kaum vorstellbar ist

Worte, Worte, nichts als Worte. Es wird nur gesprochen, 85 Minuten lang. Aber was heißt gesprochen? Das rhetorische Duell, das sich in der Nacht zum 25. August 1944 in der gerade noch von den Deutschen besetzten französischen Hauptstadt der Kommandierende General von Groß-Paris, Dietrich von Choltitz, sowie der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling liefern, ist ein solcher Triumph der Beredsamkeit, dass man irgendeine Aktion keine Sekunde lang vermisst. Was wird da nicht alles aufgeboten: Schmeichelei und Drohung, Versprechen und Beschwörung, Hymnus und Verdammnis – eine Unterhaltung, die alle nur erdenklichen Register zieht. Denn es geht um viel. Es geht ums Ganze. Und dieses Ganze ist nichts Geringeres als die Fortexistenz von Paris.

Wir erinnern uns: Die Alliierten landen am 6. Juni 1944 in der Normandie, und damit beginnt das Ende der deutschen Besatzung Frankreichs. Am 25. August müssen die braunen Herren auch die Hauptstadt räumen. Aber nicht, so will es ein sogenannter Führerbefehl, bevor dort alles in die Luft fliegt. Paris soll nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen, will der „Gröfaz“. Schon sind die Brücken über die Seine, sind Notre Dame, der Louvre, der Eiffelturm vermint. Und der Oberbefehlshaber, der erst vor kurzem nach Paris berufene General von Choltitz, ist festen Willens, die Lunte auch zu zünden. Da betritt, am Abend des 24. Augusts, buchstäblich durch die Tapetentür, ein Herr das Kabinett des angemaßten Herrschers von „Groß-Paris“, der sich im Hotel Meurice einquartiert hat.

Der großartige André Dussollier spielt diesen schwedischen Diplomaten, der in geheimer Mission versucht, den Hartherzigen zu erweichen, dass er Paris verschone, und er spielt ihn so ungemein französisch, dass man allein schon an seinem Auftreten ablesen kann, dass es hier letztlich um eine Hommage an Frankreich geht.

Und eine solche Hommage ist eigentlich auch der ganze Film von Volker Schlöndorff. Eine tiefe Verbeugung vor der Stadt seiner cineastischen Anfänge als Assistent bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville. Doch im Grunde auch ein Hymnus auf all das, was seine Generation in den 50er-Jahren so nur in Frankreich lernen konnte: Esprit, Geschmack, Geschichtsbewusstsein – und eben jenen glühenden Glauben an die Macht der Sprache, an die Magie des gesprochenen Wortes, diese Wunderwaffen der im Kulturellen noch heute unübertroffen großen Nation.

Ein eminent französischer Film ist auf diese Weise entstanden, etwas, das in Frankreich als Erfolgsrezept gilt und vielleicht endlich auch, durch einen deutschen Regisseur lanciert, einmal hierzulande funktionieren wird: der in Rhetorik aufgelöste Geschichtsfilm. Zuletzt feierte dieses Genre in Frankreich Triumphe, als Edouard Molinaro 1992 in „Le Souper“ Talleyrand und Fouché bei Kerzenschein aufeinandertreffen ließ. Auch dort war es Nacht. Auch damals stand Frankreich am Abgrund. Napoleon hatte in Waterloo seine endgültige Niederlage erlitten.

Und auch Dussollier als Schwede Nordling obsiegt, wie man weiß. Wie genau er Choltitz von seiner barbarischen Tat abhielt, wird ewig ein Geheimnis bleiben, denn dazu gibt es keine Quellen, und bis heute ist noch immer nicht ganz geklärt, warum der Mann Paris verschonte. Hier setzt der Film von Schlöndorff an und schwelgt in Möglichkeiten, wie Nordling das Rettungsmanöver seinem deutschen Widerpart schmackhaft machte, den Niels Ares-trup mit der nötigen Portion Bärbeißigkeit ebenfalls ganz wunderbar eindrucksvoll spielt.

Die Fiktion, die übrigens auf ein Theaterstück von Cyril Gély zurückgeht, ist aber nicht auf Sand gebaut. Treffen zwischen General von Choltitz und Generalkonsul Nordling sind überliefert. Die Männer handelten in den letzten Augusttagen 1944 tatsächlich eine Art Waffenstillstand aus, damit die Deutschen die Stadt durchqueren konnten. Es galt einen geordneten Rückzug vorzunehmen, in einem unterdessen vom unerklärten Bürgerkrieg zwischen Résistance und deutschfreundlicher Miliz zerrissenen Land.

++++- „Diplomatie“ F/D 2014, 88 Min., ab 12 J., R: Volker Schlöndorff, D: André Dussollier, Niels Arestrup, Burghart Klaußner, Robert Stadlober; täglich im Abaton (OmU), Blankeneser Kino, Holi; www.diplomatie-film.de