Kristof Magnusson entdeckt im „Arztroman“ die Welt der Medizin – mit der Schwarzwaldklinik hat die aber nichts zu tun

Allzu zimperlich darf der Leser von Kristof Magnussons neuem Roman nicht sein. Luftröhrenschnitt und Herzmassage kommen hier seitenweise zum Zuge. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Magnussons „Arztroman“ ist nicht etwa eine Art kleines Handbuch für angehende Mediziner. Auch haftet dem Buch insgesamt wirklich gar nichts Schwarzwaldklinik-haftes an.

Die detailliert geschilderten Rettungseinsätze, das Verspritzen diverser Körperflüssigkeiten bilden lediglich den Hintergrund für das so schonungslose wie unterhaltsame Porträt einer Notärztin, die das vierte Lebensjahrzehnt kürzlich überschritten hat.

Anita Cornelius ist weder besonders glücklich noch übermäßig unglücklich. Aber sie steckt irgendwie fest. Der Job verlangt ihr so einiges ab, doch sie ist keine, die ständig jammert, im Gegenteil. Augen zu und durch, das kann Anita. Mehr zu schaffen als Patienten zwischen Leben und Tod macht Magnussons tapferer Heldin ihr Privatleben. Ihr Ex-Mann Adrian ist glücklich liiert mit einer blonden Reihenhauslady, die zum Abendessen Rinderfilet an Spargelspitzen serviert. Der gemeinsame Sohn Lukas hat sich für das ungleich spießigere Leben beim Vater und der neuen Frau entschieden. Anita und ihr Teenagersohn sehen sich nur am Wochenende auf eine Pizza und ein bisschen Small Talk vor dem Fernseher.

Nicht von ungefähr hat der 1976 in Hamburg geborene, deutsch-isländische Autor Kristof Magnusson seinem dritten Roman den Titel „Arztroman“ gegeben. Die ironischen Anspielungen, der leicht boulevardeske Ton ziehen sich durch das gesamte Buch. Magnusson ist ein literarisch treffsicherer Autor, der mit spitzer Feder kleine Gemeinheiten zu Papier bringt und manchen Dialogen in ein Scharfschützenduell verwandelt. Es gibt nur wenig Klischees im „Arztroman“.

Anitas Emanzipationsgeschichte kommt angenehm plattitüdenfrei daher. Sie ist kein Opfer, kein Jammerlappen. Hat sich eingerichtet in einem Singleleben, das ihr allemal als bessere Alternative zur früheren Durchhalte-Ehe erscheint. So effizient und ohne großes Gewese Anita eine Infusion legt, so rigoros hat sie sich mit den neuen Umständen arrangiert. Sie kauft eine vollautomatische Kaffeemaschine und redet tatsächlich sich ein, dass so die neue Freiheit aussieht.

Auch Leser, die den ärztlichen Fachjargon nicht kennen, werden erkennen, dass Magnusson den Rettungssanitäteralltag mit großer Kenntnis und einem Blick fürs Authentische schildert. Die liebevollen Schlagabtausche im Mediziner-Slang zwischen Anita und ihrem Assistenten, mit dem sie die ein oder andere Feierabendwurst verdrückt, überzeugen ebenso wie die Erste-Hilfe-Maßnahmen vor Ort: Magnussons Beschreibungen überzeugen gerade auch im Detail.

Es ist keine Kulisse, in die Magnusson die Geschehnisse im „Arztroman“ schiebt; wir haben es mit einem realistischem Plateau zu tun. Magnusson versteht sich auf Figurenzeichnung, sie gelingt ihm hier ähnlich gut wie in seinem Debüt „Das war ich nicht“. Auch dort war es der Sinn für Komik, der die Handlung vorantrieb.Schwung gewinnt speziell der „Arztroman“ vor allem durch die Darstellung des familiären Patchwork-Miteinanders: Die Heldin Anita verliebt sich in den Lebemann Rio und findet ihren Ex-Mann schließlich bewusstlos in der Krankenhaustoilette vor, zugedröhnt mit Narkosemitteln. Langeweile sieht anders aus.

Kristof Magnusson 12.9., 21 Uhr, Tickets zu 14 € unter T. 30309898. Der Ort steht noch nicht fest. Infos unter www.harbourfront-hamburg.com