Doris Dörries Kinofilm um ein ungleiches Paar pendelt zwischen großem Drama und großem Kitsch. Heute zeigt das ZDF den Film

Zwischen den anderen Filmen der Sommerreihe „Deutsches Kino im Zweiten“ wirkt Doris Dörries „Glück“ wie ein unbequemer Fremdkörper. Wer nach Klamotten wie „Agent Ranjid rettet die Welt“ oder „Jesus liebt mich“ auf einen weiteren Fernsehabend mit leichter Unterhaltung hofft, sollte den besser woanders suchen.

Die filmische Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach ist schwere Kost, das „Glück“, das Irina und Kalle zu bewahren versuchen, es ist nicht das Vorstadtglück mit Doppelhaushälfte, Garten und Kindern. Irina (Alba Rohrwacher) ist ein Kriegsflüchtling, Kalle (Vinzenz Kiefer) ein obdachloser Punk. Sie begegnen sich auf dem Straßenstrich, auf dem sich Irina prostituiert.

Dörrie, neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich, erzählt die Geschichte der zwei Charaktere mit nur wenigen Worten, es sprechen die Bilder. Und überwiegend sprechen sie nicht nur, sie brüllen, schreien. Dörrie überlässt nichts dem Zufall, die Szenen, die sie für wichtig erachtet, illustriert sie mit unerbittlich draufhaltender Kamera. Das kann ein Moment des Friedens, der Freude, des „Glücks“ sein. Es kann aber auch der Einmarsch der Truppen in Irinas namenloser Heimat sein, der Mord an ihrer Familie, die Vergewaltigung Irinas durch die marodierenden Soldaten. In den negativen Momenten geht diese Taktik auf, man fühlt sich abgestoßen und vermeint, einen Blick auf den zerbrochenen Charakter Irinas zu bekommen.

Doch wenn es tatsächlich um die Liebe geht, dann verkommt der detailfreudige Blick schnell zum Kitsch. Das geteilte Honigbrot, der Kirschblütenbaum, hier hätte dem Film etwas mehr Abstand gutgetan. Dass man trotzdem nicht vollends im Kitsch ertrinkt, dafür sorgt besonders die herausragend agierende Alba Rohrwacher. Mit einem Blick oder einer Geste fügt sie ihrem Charakter Nuancen hinzu, die eigentlich in der Bilderflut hätten untergehen müssen. Und auch Vinzenz Kiefer überzeugt. Zwar sieht er selbst auf der Straße sitzend aus wie ein Posterboy in der Pause zwischen zwei Fotoshootings. Aber die Kämpfe, die er nach innen und außen ausficht, die gelingen ihm.

Kern der literarischen Vorlage des knapp anderthalb Stunden langen Dramas ist ein Kriminalfall, der die Frage illustrieren soll, was man bereit ist zu tun, um das Glück zu bewahren. Einer von Irinas Freiern ist in der gemeinsamen Wohnung der beiden gestorben. Als Kalle hereinkommt, findet er den Toten, von Irina keine Spur. Und er, der Vegetarier, der eine Metzgerlehre abgebrochen hat, weil er kein Blut sehen kann, beschließt, den Leichnam zu zerstückeln, um seine Irina zu beschützen. Es kommt, wie es kommen muss, die Tat fliegt auf, beide werden verhaftet. Auftritt des Erzählers, des Strafverteidigers Noah Leyden (Matthias Brandt), der erwirkt, dass aus dem Verdacht des Mordes zunächst „Störung der Totenruhe“ wird. Und schließlich nur noch „Unfug aus Liebe“.

Die Kritiken zum Kinostart spiegeln die Ambivalenz zwischen großen Gefühlen und noch größeren Bildern wider: Einigen gilt „Glück“ als eine der stärksten Arbeiten Doris Dörries, sie loben Dörries Bemühen um Realismus und Extreme. Andere fühlen sich gegängelt, überfrachtet und vermissen das Lakonische, das den Reiz der Von-Schirach-Erzählung ausmacht.

Tatsächlich lässt „Glück“ kaum Leerstellen, an denen der Zuschauer die Chance hat, mit eigenen Bildern und Vorstellungen anzuknüpfen. Irinas Vorgeschichte erschlägt den Zuschauer fast in ihrer Wucht aus Vergewaltigungsszene und dramatischer Musik. Und auch als Dörrie nach einer Stunde Suchen und Finden des Glücks wider aller Umstände zum toten Freier vordringt, hält die Kamera drauf, das Kunstblut fließt in Strömen. Es sind nicht diese überdramatisierten Schock-Momente, sondern vielmehr die kleinen Dialogfetzen, die „Glück“ zu einem sehenswerten Film machen. Einem, der aller verklärten Gossenromantik und allem angestrengten Entsetzens zum Trotz die Gedanken bewegt. Einem, dem man sogar das hemmungslos kitschige Ende verzeiht. Rechtsanwalt Leyden erzählt seiner Frau von dem merkwürdigen Fall des „Unfugs aus Liebe“, sie stellt fest: „Da muss die Liebe eine große Macht haben.“ Er entgegnet: „Oder die Angst, sie zu verlieren.“

„Glück“ Di 19.8., 22.45 Uhr, ZDF