Peter Scholl-Latour starb im Alter von 90 Jahren. Er hat den Deutschen die Krisen erklärt

Es gab wohl kaum eine Talkshow-Couch, auf der er nicht saß und in seinem berühmten Nuscheln die Welt erklärte: Peter Scholl-Latour prägte das Bild der Deutschen von der Weltpolitik. Als Fernsehreporter war er eines der populärsten TV-Gesichter, als Sachbuchautor brachte er es mit Büchern wie „Der Tod im Reisfeld“ auf Millionenauflagen. Im Alter von 90 Jahren ist Scholl-Latour am Sonnabend in Rhöndorf am Rhein nach schwerer Krankheit gestorben.

Unermüdlich bereiste Scholl-Latour bis ins hohe Alter die Welt. Er war überall und kannte sie alle – vom Ajatollah Khomeini bis zum Vietcong-General Võ Nguyên Giáp. Stempel von 200 Staaten, von denen mancher schon lange untergegangen ist, hatte er in seinen Pässen. Noch kurz nach seinem 90. Geburtstag am 9. März plante er die nächste Reise in den Tschad. „Ich muss wieder raus“, sagte er damals.

Richtig wohl fühlte sich Scholl-Latour in den Krisengebieten der Welt. Er berichtete aus dem Dschungel über den Vietnamkrieg, wurde 1973 Gefangener der Vietcong-Guerilla, zog mit den Mudschaheddin durch Afghanistan. „Mit dem Tod von Peter Scholl-Latour verliert Deutschland einen der letzten großen journalistischen Welterklärer“, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Als solcher befasste sich der rastlose Reporter, der einst bei der „Saarbrücker Zeitung“ volontiert hatte, mit den Konflikten in der arabischen Welt, aber auch in Asien und Afrika. Die Kriege der USA und Großbritanniens im Irak und in Afghanistan kritisierte er. „Seine Lust und Neugier an der Welt, am Einordnen und Querdenken werden uns sehr fehlen“, so Grütters.

Viele seiner mehr als 30 Bücher erzählen von Kriegen. Schon die Titel lassen wenig Gutes ahnen. Ob „Der Wahn vom Himmlischen Frieden“ über China, „Allah, Blut und Öl“ oder „Afrikanische Totenklage“, „Welt aus den Fugen“ – Scholl-Latours Welt war geprägt von Mord und Totschlag, Machtkämpfen und Verschwörungen. Damit landete er fast immer Bestseller.

Scholl-Latour verband in seinen Werken die Beschreibung historischer Entwicklungslinien mit journalistischen Schilderungen und persönlichen Erfahrungen – eine Arbeitsweise, die ihm auch Kritik und den Vorwurf der Vereinfachung eintrug. In dem Sammelband „Das Schwert des ‚Experten‘“ warfen ihm Wissenschaftler in den 90er-Jahren ein verzerrtes Islambild vor, das Angst, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schüre. Die Aufstände in der arabischen Welt beschäftigten ihn in den vergangenen Jahren stark. Die Hoffnungen, die sich mit dem Arabischen Frühling verknüpften, hielt Peter Scholl-Latour für maßlos überzogen. „Das ist eine arabische Katastrophe“, sagte er. „Kein Land steht heute besser da als vor der Revolte.“

Scholl-Latour wurde am 9. März 1924 in Bochum geboren. Der Sohn eines im Saarland geborenen und in Lothringen aufgewachsenen Arztes blickte sehr früh über den Tellerrand. Seine elsässische Mutter („eine Frau mit viel Courage“) entkam als Jüdin knapp der Deportation. Scholl-Latour ging im schweizerischen Fribourg in ein Jesuitenkolleg. Seine Eltern wollten ihn nicht in Deutschland haben: Nach den Nürnberger Rassengesetzen galt er als „Mischling ersten Grades“. Nach der Befreiung Frankreichs 1944 scheiterte Scholl-Latour beim Versuch, sich der französischen Armee anzuschließen. Sein Leben lang bewunderte er den General und Präsidenten Charles de Gaulle. Auch zu den Partisanen im späteren Jugoslawien kam er nicht. Auf dem Weg dahin nahmen ihn die Deutschen fest, er kam in Gestapo-Haft.

Sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs meldete er sich bei einer französischen Elite-Einheit. Die Soldatenausbildung habe ihm sehr geholfen – auch die Erfahrung als Fallschirmspringer in Indochina: Sein 1979 erschienenes Buch „Tod im Reisfeld“ über den Vietnamkrieg wurde später Scholl-Latours größter Erfolg. Mehr als eine Million Mal ging es über die Ladentheke.

Lange hielt Scholl-Latour es nicht an einem Platz aus. 1954/55 war er Regierungssprecher im Saarland, bevor er zum Fernsehen wechselte. Dem WDR war Scholl-Latour allerdings einige Jahre verbunden, unter anderem als Korrespondent und Studioleiter. „Sein Tod berührt mich tief. Wir haben einen großen Journalisten und Reporter verloren. Mit seinen Erfahrungen, Erlebnissen und Einschätzungen bereicherte Peter Scholl-Latour unsere Arbeit und unsere Sicht auf die Welt. Er hat für die ARD und für den WDR viel erreicht. Peter Scholl-Latour war und bleibt ein Vorbild für alle Journalistinnen und Journalisten“, sagte Intendant Tom Buhrow am Sonnabend.

Nach seiner Zeit als Hörfunkkorrespondent der ARD in Afrika gründete Peter Scholl-Latour 1963 das vom WDR verantwortete ARD-Studio Paris, das er bis 1969 leitete. Von 1969 bis 1971 war er Direktor des WDR-Fernsehens für das Erste Programm (ARD). In seine Amtszeit fielen unter anderem die Einführung des Schulfernsehens und der „Lach- und Sachgeschichten“, Vorläufer der „Sendung mit der Maus“, sowie der kontroverse Fernsehfilm „Das Millionenspiel“. Seine Reportagen aus dem Kongo machten ihn zum populärsten Fernsehreporter Deutschlands.

1971 wechselte er zum ZDF. Er reiste unter anderem nach Vietnam, Kambodscha, China, Afghanistan und in den Iran. Von 1975 bis 1983 leitete er zudem das Pariser ZDF-Studio. Von 1983 bis 1984 war er Chefredakteur des Magazins „Stern“, anschließend war er als Publizist und Autor von Dokumentarfilmen und zahlreichen Büchern tätig. Er war ein gefragter Ansprechpartner in Fernsehdiskussionen für die Themenbereiche Islam und Naher Osten. Für seine journalistische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem den ersten Henri-Nannen-Preis im Jahr 2005.

Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke, nannte Scholl-Latour „eine sehr eigenständige, sehr eigenwillige und herausragende Persönlichkeit“. „Wenn man nur die Fähigkeit besaß, ihm aufmerksam zuzuhören, ihn interessiert zu lesen, musste man ihm nicht immer zustimmen, wurde aber klüger“, erklärte Gysi laut einer Mitteilung seiner Partei.

Mut und Überlebensinstinkt hätten ihm bei seinen Reisen geholfen, sagte Scholl-Latour einmal. Er traue nur dem, was er selbst sehe. Zuletzt befasste er sich mit den Krisenherden im Nahen Osten und in der Ukraine. Sein letztes Buch „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“ soll nach Angaben des Propyläen Verlags im September erscheinen.