Luc Besson hat mit Scarlett Johansson als „Lucy“ einen magischen Actionfilm gedreht

Auf den ersten Blick passt diese junge Frau so gar nicht ins Luc-Besson-Universum kühler, langbeiniger Model-Amazonen. „Lucy“ ist keine resolute, toughe Kämpferin wie die von Anne Parillaud gespielte Auftragskillerin „Nikita“, keine entschlossene Kriegerin wie Milla Jovovichs „Johanna von Orleans“ und kein gefallener Engel wie Rie Rasmussens „Angel-A“. Lucy beginnt diesen Film als Opfer, eine kleine, harmlose Studentin mit zerzausten Haaren, die an einer Straßenecke von Taipeh von einem Ganoven in eine dreckige Geschichte reingezogen wird. Klick, hat der Typ ihr den Koffer mit Handschellen ans Handgelenk gekettet. Boom, wird er kurz darauf erschossen, als sie im Hotel nach dem Mann fragt, dem sie den Koffer mit unbekanntem Inhalt übergeben soll. Zack, wird sie von ziemlich ungemütlich aussehenden Leibwächtern in die Mangel genommen.

Klick, boom, zack, das ist das Kino von Luc Besson, das er Testosteron-geladen und PS-stark in Serie schreibt. Seit einem Vierteljahrhundert zelebriert der Regisseur die Frau als Kunstfigur, als märchenhafte Männerfantasie. Dabei geht es ihm auch darum, den Irrtum zu korrigieren, dass Frauen das schwächere Geschlecht seien: „Seit den Siebzigern sehen wir ununterbrochen diese Muskelmänner, die die Welt retten, während die Frauen im Hintergrund weinen“, sagt Besson. „In Wirklichkeit sind die Frauen so stark wie in meinen Filmen, meistens stärker als die Männer.“

Nun also Lucy, die erst im Laufe der Geschichte stark und kämpferisch wird. Als sie im Hotelzimmer aufwacht, ist um ihren Bauch eine Bandage gewickelt, durch die Blut sickert, unter der Wunde ist eines der Päckchen aus dem Koffer eingenäht. Als sie einer der Wärter in einer schmutzigen Zelle misshandelt, offenbart sich die explosive Wirkung des knisternd blauen Granulats, einer neuen Superdroge, die die Wahrnehmung und ihre hochintelligente Auswertung übermenschlich schärft. Statt der zehn Prozent des Gehirns, die der durchschnittliche Mensch angeblich nur nutzt, nähert sich Lucy nun stetig den 100 Prozent und mutiert dabei zur Superheldin, die Gedanken lesen, sich in Fernseher und Computer einloggen, ihren Körper perfekt beherrschen und andere telepathisch und telekinetisch manipulieren kann.

Und da bewährt es sich, dass Besson dieses Mal bei seiner Hauptdarstellerin nicht in erster Linie auf Modelschönheit und Sex-Appeal gesetzt hat, sondern auf das fein nuancierte Können einer Schauspielerin wie Scarlett Johansson. Einer im Grunde simplen Science-Fiction- und Actionkino-Prämisse verleiht sie seelische Tiefe und intellektuelle Substanz, sie erdet die hochfliegenden Fantasien in einem sehr irdischen Humanismus und überbrückt damit auch einige der schlimmsten Lücken und Fehler im pseudowissenschaftlichen Konstrukt des Films. Auch wenn die Behauptungen als Ausgangspunkt für eine filmische Fantasie allemal tauglich sind. So erzählt Besson zugleich von Lucys Vendetta gegen das taiwanische Drogenkartell, mit rasanten Autoverfolgungsjagden und gewalttätigen Schusswechseln in einem Wettlauf gegen die Zeit, zusätzlich beschleunigt, weil Lucy unter dem massiven Anstieg ihrer Gehirnpower binnen 24 Stunden zu verglühen droht.

Luc Besson spielt mit virulenten Themen unserer Zeit. Hier entwickelt sich ein menschliches Gehirn zu einem Supercomputer, zu einer Datenkrake, die das gesamte Wissen der Welt anzapfen und infiltrieren kann. Für den Zuschauer ist der Film auch ein Trip mit vielen verrückten und magischen Bildern, etwa wenn Lucy sich in einer poetischen Version des NSA-Abhörszenarios in die Handygespräche der Pariser Bürger einklinkt. Das Gewirr der Mobilfunkgespräche wird da zu einem Vorhang aus farbigen Linien, zwischen den Menschen auf der Erde und dem Satelliten-Himmel oben, und während Lucy unter den Farbfrequenzen das unwichtige Geplapper von den relevanten Aussagen trennt, schiebt sie einzelne Fäden mit dem Finger auseinander, als wären es die Fäden eines Kettenvorhangs.

Wenn sie unter dem Einfluss der Drogenüberdosis zu explodieren droht, zerfällt ihr Körper in ein Feuerwerk aus Lichtpunkten. Mit zunehmendem Wissensdruck verwandelt sie sich in eine organische Masse schleimiger Computerhardware, und wenn sie am Ende ihre Informationen an den von Morgan Freeman mit gewohnt sonorer Autorität gespielten Neurowissenschaftler weitergeben will, findet Besson eine pfiffige Lösung. Unnötigerweise ufert der Film fortschreitend in die Art Maßlosigkeit von Gewalt und Speed aus, für die Luc Besson bekannt ist.

++++- „Lucy“ F 2014, 89 Min., ab 12 J., R: Luc Besson, D: Scarlett Johansson, Min-sik Choi, Morgan Freeman, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Savoy (OF), Studio, UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek; www.lucy-film.de