„Cloud Atlas – Der Wolkenatlas“, heute in der ARD zu sehen, ist eine beeindruckende Literaturverfilmung

Lieben oder hassen, dazwischen gibt es nicht viel: Für wenige Buchverfilmungen samt ihrer literarischen Vorlage gilt das so sehr wie für David Mitchells „Wolkenatlas“, den die Geschwister Wachowski („Matrix“) zusammen mit Tom Tykwer („Lola rennt“) unter dem Titel „Cloud Atlas – Der Wolkenatlas“ ins Kino brachten. Denn der Stoff widersetzt sich sowohl gängigen Lese- wie auch Schaugewohnheiten. Nicht ein Handlungsstrang mit ein paar Verzweigungen, nicht ein mehr oder minder unübersichtliches Dramatis Personae, dessen Hauptcharaktere in enger Beziehung zueinander stehen. Sondern: sechs Zeitalter, sechs Handlungen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Dazu kommen Charaktere, die unterschiedlicher kaum sein können und doch verbunden sind zwischen 1849, 1936, 1973, 2012, dem 22. Jahrhundert und einer noch ferneren Zukunft, in der Zeitrechnung und Zivilisation größtenteils verloren sind.

Mitchells Buch galt nicht wenigen als unverfilmbar, zu komplex, zu wenig Mainstream-tauglich. Aber der Autor vertraute Tykwer und den Wachowskis, er sagte dem Abendblatt zum Filmstart vor knapp zwei Jahren: „Vielleicht war das naiv, aber ich war nie besorgt. Sie entsprachen überhaupt nicht meinen Hollywood-Stereotypen.“

Wenig stereotyp ist auch das Ergebnis der Regisseure geworden: Das beginnt schon beim Produktionsort. Die geschätzte 100 Millionen Dollar teure Produktion entstand nicht in Hollywood, sondern zum größten Teil in Babelsberg. Dort entstanden die Geschichten um den Ziegenhirten Zachry (Tom Hanks), der im 106. Winter nach der Apokalypse auf Meronym (Halle Berry) trifft, um den alternden Verleger Timothy Cavendish (Jim Broadbent), der 2012 auf der Flucht vor Geldeintreibern in einem von der despotischen Krankenschwester Noakes (Hugo Weaving) geleiteten Altenheim landet, um den Klon Sonmi 451 (Doona Bae), der sich zu einer messianischen Figur aufschwingt, und um all die anderen Figuren, die sich zu einem filmischen Kaleidoskop zusammenfinden.

„Cloud Atlas“ ist nicht nur hochkarätig besetzt: Alle Hauptdarsteller übernehmen gleich mehrere Rollen, wechseln zwischen den Zeitaltern auch schon einmal das Geschlecht oder die Hautfarbe. Das erleichtert dem Zuschauer die Verbindung der Erzählstränge, auch wenn man beizeiten mehrfach hinsehen muss. Bis man Halle Berry hinter der Maske des Arztes Ovid ausgemacht hat, ist die Szene fast schon wieder vorbei, auch Hugh Grant ist in seiner Rolle als dekadenter Seher Rhee auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen.

Doch das Versteckspiel ist kein Selbstzweck, keine bloße Leistungsschau von Schauspielern und Maskenbildnern. Es ist vielmehr der Versuch, die im Buch angeschnittenen Themenkreise um Liebe und Hass, Geschichtsbewusstsein und -vergessenheit, um Überdauern und Vergehen von Literatur und Musik zu transportieren. Reinkarnation, in der literarischen Vorlage nur gestreift, erhebt sich im Film überdies zur Klammer, die alles verknüpft. Kein Mensch verschwindet so ganz, und wenn er wiederkehrt, bleibt eine Verbindung zum Vorangegangenen. Ob es nun Tykwers mäßigender Einfluss war, der verhinderte, dass Andrew und seine Schwester Lana Wachowski ähnlich wie in den Fortsetzungen des ersten „Matrix“-Films vollends in die Metaphysik abdriften, weiß man zwar nicht. Welchen Grund es aber auch gehabt haben mag: Das Experiment, so viele verschiedene Inhalte und Daseinsfragen in einen auf den ersten Blick höchst sperrigen Film zu gießen, es ist wie zum Trotz der allenfalls mäßigen Einspielergebnisse gelungen. „Cloud Atlas“ spielt virtuos mit den Erwartungen des Zuschauers, verbindet eigentlich Unverbindbares und ist dazu auch noch optisch opulent.

Und auch, wenn er sich teilweise stark von seinem Buch unterscheidet, zeigte sich David Mitchell mit der eigenständigen filmischen Umsetzung seiner epischen Episodengeschichte sehr zufrieden: „Der Film funktioniert als Film so gut wie das Buch als Buch. Der Film ist nicht weniger wert. Und ein Buch mit einem Film zu vergleichen, das ist noch nicht mal wie Äpfel und Birnen, das ist wie ein Kilo Zucker und halb sieben am Mittwoch.“

,Cloud Atlas – Der Wolkenatlas‘, 22.45 Uhr, ARD