Wie sich die Reportagefotografie seit den 50er-Jahren entwickelt hat, zeigt eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe

Hamburg. Paul Julius Freiherr von Reuter, dem Gründer der Nachrichtenagentur Reuters, wird der Satz zugeschrieben, nachdem ein Bild mehr zu sagen habe als 1000 Worte. Dabei starb der Adelige bereits 1899, zu einer Zeit, als es dank der Erfindung des Rasterdrucks gerade erst möglich geworden war, Fotografien in Zeitungen und Zeitschriften zu drucken. Dienten die in der Presse veröffentlichten Fotos in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ausschließlich dazu, Texte zu illustrieren, emanzipierte sich die Reportagefotografie in den 50er- und 60er-Jahren immer mehr, als neu gegründete Zeitschriften wie „Kristall“, „Quick“ oder „Stern“ große Bildstrecken zu veröffentlichten begannen.

Diese Blütezeit der Reportagefotografie steht im Mittelpunkt der Kabinettausstellung „Das engagierte Bild“, in der das Museum für Kunst und Gewerbe etwa 40 Fotografien von Jürgen Heinemann, Ryuichi Hirokawa, Thomas Hoepker, Kaku Kurita, Robert Lebeck, Peter Magubane, Marc Riboud, Sebastião Salgado und Max Scheler zeigt und zugleich die unterschiedlichen Strategien und Motive dieser Fotografen thematisiert. Die Bilder stammen ausschließlich aus der 75.000 Exponate umfassenden Sammlung des Hauses, die mit Ausstellungen dieser Art wissenschaftlich erschlossen wird.

Zunächst fällt dem Besucher auf, dass eine Fotografie, wenn sie im edlen Galerierahmen an der Wand hängt, völlig anders wirkt als im Kontext der Zeitschriften-Bildstrecke, für die sie ursprünglich entstanden ist. Diese Vergleiche kann man in der Ausstellung immer wieder ziehen, denn neben den Vintage Prints an der Wand sind auch die aufgeschlagenen Zeitschriften zu sehen, teilweise kann man sie auch auf dem Touchscreen „durchblättern“.

Den Auftakt bildet eine Bilderfolge, die Robert Lebeck 1961 für die Zeitschrift „Kristall“ in Hongkong aufgenommen hat. Zu sehen sind Straßenszenen und Alltagsbeobachtungen, die Bilder wirken noch in traditioneller Weise wie „Schaufenster“ einer fremden und exotischen Welt, doch stehen sie zugleich am Übergang zur tagesaktuellen Berichterstattung. Lebecks Kamerablick ist nämlich nicht nur auf einen pittoresken Alltag in Fernost gerichtet, sondern dokumentiert zugleich das Schicksal von Flüchtlingen, die in der damaligen britischen Kronkolonie Schutz gesucht haben.

Ganz anders wirken die Bilder, die Ryuichi Hirokawa 1982 im Libanon aufgenommen hat. Der Japaner sieht sich als Berichterstatter, dessen Bilder ein grausames Geschehen schonungslos und ungefiltert sichtbar machen und dabei Partei ergreifen. Hirokawa zeigt Leichen, die auf den Gassen der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila liegen, nachdem die Miliz der christlichen Falangisten mit Billigung der israelischen Armee dort vom 16. und 18. September 1982 ein Massaker verübt hatte. „Die schonungslose Direktheit solcher Schockbilder ist heftig kritisiert worden, da sie dem Betrachter keinerlei Raum mehr für eigene Deutungen lassen“, sagt Ausstellungskurator Sven Schumacher.

Einen völlig anderen Weg geht Marc Riboud, der 1971 als Berichterstatter für die renommierte Magnum-Agentur in das Krisengebiet an der Ostgrenze Indiens gereist ist. Der Franzose verzichtet vollständig auf grausame Details des Bangladesch-Kriegs, sondern konzentriert sich vielmehr auf die Darstellung menschlichen Leids. In der Ausstellung sind Fotos von verzweifelten Frauen zu sehen, deren Männer gerade hingerichtet wurden.

Thomas Hoepker ist als junger Fotograf 1963/64 gemeinsam mit dem Autor Rolf Winter für „Kristall“ nach Äthiopien gereist, um über die Lepra als „Krankheit der Armut“ zu berichten. Während in Winters Texte die Symptome und Beschwerden der Leprakranken in allen Details drastisch geschildert werden, zeigen Hoepkers Bilder nichts davon. Auf ihnen wird die Scham der Menschen gezeigt, ihr verzweifelter Versuch, sich zu verhüllen und einen letzten Rest von Würde zu bewahren. Dabei wirken seine Bilder auf mitunter befremdliche Weise ästhetisch.

Ähnliches gilt auch für die Arbeiten des Brasilianers Sebastião Salgado, der ohne den Auftrag einer Redaktion als selbstständiger Fotojournalist in Krisengebiete gereist ist. Salgados Bilder dokumentieren schonungslos das Schicksal von Menschen in Bürgerkriegs- und Hungerregionen. Er bezieht Position, sieht seine Arbeit als politischen Kampf und spendet Honorare an Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“. Er publiziert seine Fotos in Büchern, verkauft sie an zahlreiche Magazine, sieht sich aber dennoch der Kritik ausgesetzt, seine Bilder würden das Los der Abgebildeten instrumentalisieren. Tatsächlich sind Salgados Bildkompostionen in hohem Maß ästhetisch, freilich ohne dass dabei der Blick auf das Leid der Menschen verstellt würde.

Der schwarze Südafrikaner Peter Magubane hätte solche Debatten vermutlich nur schwer nachvollziehen können. Für ihn war die Fotografie von Anfang eine Chance, den Kampf gegen de Apartheid zu unterstützen. Er begann als Bote und Fahrer für „Drum“, die einzige südafrikanische Zeitschrift, die schon in den 50er-Jahren Position gegen die Rassentrennung bezog. Als er 1955 unerwartet die Chance erhielt, als Fotojournalist zu arbeiten, dokumentierte er das Aufbegehren der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gegen die rassistische Politik der Weißen. Magubane wurde mehrfach verhaftet und mit Berufsverbot belegt, aber er gab nicht auf. Einige seiner Bilder sind schonungslos und direkt in der Dokumentation von Gewalt, andere erreichen ihre Wirkung auf ganz andere Weise. So spiegelt sich der ganze Schrecken der Apartheid in den Gesichtern von jungen Mädchen, die Magubane 1976 bei der Niederschlagung eines Schüleraufstands in Soweto aufgenommen hat.

„Das engagierte Bild.“ Die Sammlung Fotografie im Kontext. Museum für Kunst und Gewerbe. Steintorplatz. Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00 geöffnet. Infos unter www.mkg-hamburg.de