ZDFneo zeigt von heute an „Masters of Sex“, die formidable US-Serie über ein reales Forscherpaar in den 50ern

Immerhin ist Virginia E. Johnson geschieden. Das kennt man – eine Ehe zerbricht, Kinder wachsen in mehr oder minder dysfunktionalen Familien auf, eine alleinstehende Mutter schlägt sich so durch. Eine Mutter nebenbei, die auch mal als Sängerin in einem Nachtclub gearbeitet hat. Alles andere in „Masters of Sex“ mutet an wie die Lebensumstände auf einem fremden Planeten: die spießigen Gesellschaftsnormen, das verklemmte Sexualleben, die Wertvorstellungen. Es gibt in dieser Serie, die in den 50er-Jahren spielt, zwar Freudenhäuser. Es gibt auch Schwule, die fristen ihr Dasein allerdings im Schatten, in dunklen Gassen, in Hotelzimmern. Es gibt Frischvermählte, die nicht wissen, wie man den Geschlechtsakt bewältigt, so rein technisch.

Es ist die Welt, die das Gegenbild zu unserem exhibitionistischen und libertären Zeitalter liefert und in der ein Mann mit seinen Studien Tabus bricht, deren Macht uns Heutigen geradezu absurd erscheint. „Masters of Sex“ also, die neue US-Serie auf ZDFneo, die bis zum 6. September dienstags jeweils als Doppelfolge gezeigt wird, der Kostümfilm zur sexuellen Aufklärung – samt Lovestory, Zeitpanorama, Wissenschaftsgeschichte. Der Mann, der als Pionier durch die Betten des prüden Nachkriegsamerikas marschiert, heißt William Masters, und Johnson, die geschiedene, nicht studierte Assistentin, ist sein Partner in Crime. Ein solches ist das Forschungsvorhaben, das der Gynäkologe an der Washington University in St. Louis zunächst im Geheimen durchzieht, für viele: ein kriminelles Eindringen in intimste Bereiche basierend auf einem Interesse am Körper, das sich nicht ziemt.

Der echte William Masters (1915–2001) war nach Alfred Kinsey der zweite Sexualforscher, der Licht in die Schlafzimmer der Durchschnittsamerikaner brachte. Die Studie „Die sexuelle Reaktion“ entstand in der Untersuchung von Geschlechtsakten, bei denen Masters und Johnson Elektroden an den Probanden anbrachten. Sie waren die Ersten, die die physiologischen Daten der körperlichen Liebe aufzeichneten. Der US-Autor Thomas Maier schrieb nicht nur wegen der Untersuchungen zur Masturbation und den Kontraktionen der Vagina auf romanhafte Weise die Arbeit des Sexdoppels Masters/Johnson auf. „Masters of Sex. The Life and Times of William Masters and Virginia Johnson, the Couple Who Taught America How to Love“ erschien 2009, und es würdigte besonders auch die persönliche Beziehung der beiden Forscher, bei denen Berufliches und Privates eins waren. Wer über Sex forscht und gleichzeitig miteinander Sex hat, der trennt halt nicht eindeutig!

Später waren Masters und Johnson auch miteinander verheiratet (und noch später verließ Masters seine langjährige Partnerin, um ein drittes Mal zu heiraten), in der Fernsehserie lernen sie sich gerade erst kennen. Die Handlung von „Masters of Sex“ setzt 1956 ein. Mit Maiers Vorlage wird im TV-Skript – an dem Maier selbst beteiligt war – recht frei umgegangen, gerade auch, was die romantischen Implikationen angeht. Aber das Zeitkolorit bedurfte keiner Nachfärbung: Wir tauchen ein in eine männerdominierte Welt, in der Ärztinnen in gehobenen Positionen selten sind. Johnson, dargestellt von der wunderbaren und für ihre Darstellung Johnsons für den Emmy nominierten Lizzy Caplan („True Blood“), ist noch nicht mal Medizinerin – aber ehrgeizig, freizügig, selbstbewusst. Sie verkörpert den Typus der modernen Powerfrau, die zwei Kinder alleine großzieht, nachts für das verspätete Studium lernt und ihre männlichen Kommilitonen locker abhängt.

Masters, der Karrierist, strahlt anders als Johnson keinerlei Wärme aus. Michael Sheen („Frost/Nixon“, „Blood Diamond“) verkörpert den zielstrebigen und skrupellosen Egozentriker vor allem auch als unnahbaren Menschen, der durchaus unter einer kleinen Persönlichkeitsstörung leidet. Wie ironisch: dass hier einer, der sich vor allem auf dem Gebiet der Fruchtbarkeitsbehandlung einen Namen gemacht hat, zu Kindern überhaupt keine Beziehung aufbauen kann.

Ähnlich wie „Mad Men“ ist „Masters of Sex“ ein Zeitpanorama. Glänzend geschrieben, mit pointierten Dialogen, guten Schauspielern (unter anderem Beau Bridges als Chef der medizinischen Fakultät) und vielschichtigen Charakteren, deren Psychologie in glaubhaften Szenen herausgearbeitet wird. In vielem ist „Masters of Sex“, das in Deutschland bislang nur auf dem Bezahlkanal Sky zu sehen war, wirklich brillant und ganz die übliche US-amerikanische Serienschule. Keine der Folgen, in denen auch die Nebenhandlungen dramatisch aufgeladen sind, ist redundant, jede Szene im Wissen um den Gesamtkontext strukturiert – und immer geht es um das ewige Lustprinzip und was es mit uns macht. In den 50er-Jahren musste der Sex noch viel mehr Umwege gehen als heute, es wurde beim Ausleben der körperlichen Bedürfnisse mit ungleich höheren Einsätzen gespielt. In Amerika ist gerade die zweite Staffel von „Masters of Sex" angelaufen, wir können es kaum erwarten, auch die in Deutschland zu sehen.

„Masters of Sex“ Di ab 22.45 Uhr, ZDFneo