Die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen macht in dem ZDF-Drama „Festung“ häusliche Gewalt zum Thema

„Es gibt drei Dinge, die ich hasse: Lehrer, Sport und braune Haare.“ Die 13-jährige Johanna (Elisa Essig) knallt den Satz ihrem Klassenkameraden Christian (Ansgar Göbel) an den Kopf. Natürlich hat er braune Haare und der Sohn des Sportlehrers ist er auch noch. Trotz der barschen Abfuhr bemüht der schüchterne Junge sich um das kratzbürstige Mädchen, das in der Klasse vor allem von den anderen Mädchen gemobbt wird. Johanna ist eine Einzelgängerin, die sich oft um ihre sechsjährige Schwester Moni (Antonia T. Pankow) kümmern muss, weil die Mutter arbeitet.

Schon in den ersten Einstellungen von „Festung“ ist in den Gesichtern der Geschwister Anspannung zu sehen. Sie wirken verloren und ängstlich. Der Grund für diese Angst zeigt sich, als die Mutter (Ursina Lardi) mit einem Mann nach Hause kommt. Robert (Peter Lohmeyer) ist der Vater der beiden Mädchen und der dritten Schwester Claudia (Karoline Herfurth), die nicht mehr zu Hause lebt. Während Moni sich freut, reagiert Johanna mit völliger Ablehnung. „Er hat eine Therapie gemacht“, sagt die Mutter.

Die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen macht in „Festung“ häusliche Gewalt zum Thema und erzählt die Übergriffe des Vaters aus der Sicht der 13-jährigen Johanna. Sehr schnell wird deutlich, dass die Therapie nicht geholfen hat. Robert versucht zwar, seine Töchter mit Geschenken für sich zurückzugewinnen, doch sein Ton ist aggressiv, er hat sich kaum in der Gewalt, er steht immer kurz davor zu explodieren und seine Frustrationen an seiner Frau auszulassen. Schon bald kommt es wieder zu Misshandlungen. Johanna und Moni sitzen dann eng umschlungen in ihrem Kinderzimmer und die Ältere dreht die Musik laut, um die Raserei des Vaters zu übertönen. Für Claudia, die älteste der drei Schwestern, ist der Vater ein „brutales Arschloch“. Zwei Jahre lang hat sie nicht mehr mit ihm geredet.

Liimatainen zeichnet ein sehr realistisches Bild dieser Familie, die sich nach außen abschottet. Niemand darf mitbekommen, was hinter den verschlossenen Fenstern passiert. Die Kinder schweigen und leben mit ihrer Angst, der Mutter ist es peinlich, sich Hilfe zu holen. Erkennbar ist auch eine Ko-Abhängigkeit der Protagonisten. Robert glaubt, dass seine Frau die Kinder gegen ihn aufhetzt, sie wirft ihm das Wort „Versager“ an den Kopf, die beiden älteren Mädchen verhalten sich ihrer Umgebung gegenüber ebenfalls aggressiv. Sie drohen mit Sätzen wie „Beim nächsten Mal bringe ich dich um!“ Selbst die kleine Moni benutzt schon schlimme Fäkalausdrücke.

Die Regisseurin erzählt ihre Geschichte in einem stetigen Wechsel zwischen positiven und negativen Erlebnissen ihrer jungen Protagonistin. Johanna erlebt mit Christian schöne Momente. Sie verbringen Zeit zusammen, sie küssen sich, sie lassen Modellflugzeuge steigen. Doch wenn Johanna wieder zu Hause ist, kehrt die Angst zurück. In welcher Stimmung wird der Vater sein? Wird es Streit mit der Mutter geben, die in Gewalt eskaliert? Die Gewaltspirale dreht sich weiter, doch jeder in dieser Familie ist zu verstrickt und zu gelähmt, um daraus zu entkommen. Hilfe kann nur von außen kommen.

Dass „Festung“ den Zuschauer so aufrüttelt und ihn mitten in diese Geschichte hineinzieht, hängt zu einem gewichtigen Teil mit der Qualität der jungen Schauspieler zusammen. Bei Karoline Herfurth ist das aggressive Brodeln gegen Vater und Mutter in jeder Situation zu spüren, in Elisa Essigs Gesicht spiegeln sich die seelischen Verletzungen wider, die sie durch das Familiendrama erleidet. Überzeugend bringt die Nachwuchsschauspielerin die widersprüchlichen Gefühle ihrer Figur rüber, die Sehnsucht nach Geborgenheit, die Sorge um Moni und Mutter, der Schutzpanzer gegen die Außenwelt.

Liimatainen verzichtet auf plakative Darstellung der Gewalt, sie ist zu hören und in den Gesichtern der verängstigten Kinder zu lesen. Schonungslos inszeniert die Regisseurin die von Nicole Armbruster geschriebene Geschichte. Jede vierte Frau in Deutschland ist schon Opfer häuslicher Gewalt geworden, „Festung“ ist ein wichtiger Film, weil er mit den Mitteln des Kinos auf ein Problem aufmerksam macht, das aber oft unter der Decke gehalten wird. 2010 wurde „Festung“ bei der Berlinale gezeigt, Nicole Armbruster erhielt damals für ihr Drehbuch den Thomas-Strittmatter-Preis. Schade, dass „Festung“ vom ZDF erst um 0.15 Uhr gezeigt wird. Aufgrund seiner brennenden Thematik hätte der Film um 20.15 Uhr gezeigt werden müssen.

„Festung“ Mo 4.8., 0.15 Uhr, ZDF