Arte lässt mit den Themenwochen „Summer of the 90s“ die Ära von Eurodance, Techno und Grunge wieder aufleben

„Rhythmus ist ein Tänzer, Mitstreiter der Seele, du kannst ihn überall spüren. Hände und Stimmen hoch, macht eure Köpfe frei und seid dabei. Du kannst ihn in der Luft spüren“: Unfassbar, wie leicht man in den 90er-Jahren mit so einem Unsinn wie „Rhythm Is A Dancer“ groß absahnen konnte. Snap! hieß das Kunstprodukt, das ein Frankfurter Produzentenduo 1989 ersann und das nach dem immer gleichen Konzept funktionierte: Pumpender Discobeat, austauschbare Sängerin singt völlig belanglosen Gagatext, austauschbarer Rapper stammelt belanglosen Mittelteil und obendrauf ein Refrain, den man beim besten Willen nicht vergisst. Kurz: Eurodance!

Vielleicht ist Eurodance ein Grund, warum sich der Themensommer auf Arte nach „Summer of Soul“ und Reihen über die 60er, 70er und 80er erst dieses Jahr an die 90er wagt. Denn obwohl dieses Jahrzehnt ja noch nicht so lange her ist, sind viele Kulturaspekte dieser Zeit zum Glück der Gnade des Vergessens anheim gefallen. Einige haben aber auch erfolgreich überdauert: Scooter zum Beispiel, das Hamburger Dröhntechno-Trio um HP Baxxter. Wer sonst außer „Hyper Hyper“-Baxxter käme in Frage, die Zuschauer beim „Summer of the 90s“ vom 19. Juli an bis zum 24.August zu begleiten? Eben.

Rhythmus ist ein Zuschauer bei den zahlreichen Dokumentationen, Biografien und Spielfilmen, die den Zeitgeist der Jahre zwischen 1989 und 2000 aus nicht gut genug verschlossenen Archiven holen. Das erste Wochenende widmet sich den „Faces of the 90s“, den Gesichtern des Jahrzehnts. Wir sehen und hören Grunge-Ikone und Nirvana-Sänger „Kurt Cobain“ (19. Juli, 21.45 Uhr), den eine Überdosis Ruhm 1994 zu einer Überdosis Schrot trieb. Das legendäre „Freddie Mercury – Tribute Concert“ (19.Juli, 22.50 Uhr) zeigt, wie sich David Bowie, George Michael und Metallica vor dem 1991 gestorbenen Queen-Frontmann verneigen. Rock ist auch das Stichwort beim wohl umstrittensten Kinohit der 90er „Basic Instinct“ (20. Juli, 21.50 Uhr), als sich die Medien überschlugen, weil sich Sharon Stones Beine überschlugen.

Schon am zweiten Wochenende geht es dann unter dem Motto „Love, Peace And Ecstasy“ in die Clubs und auf die Loveparade-Straßen Berlins. „Technophilia“ (26. Juli, 22.45Uhr) und „Party auf dem Todesstreifen – Soundtrack der Wende“ (27. Juli, 23Uhr) erzählen die Geschichte von Techno als bislang letzte pophistorische Revolution und Massenphänomen, „Pump Up The Jam – Heroes of Eurodance“ (27. Juli, 22.10 Uhr) präsentiert Snap!, DJ Bobo, Dr. Alban und viele weitere Trash-Pop-Stars in Wort, Bild und – oh graus! – Ton.

Ja, die 90er war schon eine künstliche Welt des „Total Entertainments“, wie sie am dritten Wochenende der Film „Die Truman Show“ (3. August, 20.15 Uhr) satirisch darstellt. Wobei man sich aus heutiger Perspektive nicht mehr sicher ist, ob die Welt der totalen Kameraüberwachung und der vorgegaukelten Realität nur eine Mediensatire ist. Vielmehr ist es doch eine gelungene Vorausschau auf die aktuelle Gegenwart.

„Boygroups und Girlbands“ (2. August, 22.05 Uhr) wie Take That und Spice Girls hingegen waren real und doch „Retortenbabies – Synthetische Popstars“ (2. August, 23.10 Uhr). Verschwand eine Retorte wie Milli Vanilli von der Bildfläche, erschien die nächste. Auf MTV natürlich. Die Doku „Die Hitmaschine“ (3. August, 21.55 Uhr) zeigt, wie der Musiksender weltweit den Ton angab.

Natürlich gab es auch Gegenbewegungen, die das Themenwochenende „Alternative Culture“ am 8. und 9. August vorstellt. Aber sosehr sich Grunge, Britpop und NuMetal auch anfangs dem Mainstream verweigerten, so endeten sie doch im Wahn der kommerziellen Ausschlachtung. Nicht dass es schlecht für die Beteiligten lief. Von der Straße auf die Magazin-Titelseiten, das war der erfüllbare Traum von Musikern und Models. Es war „Das goldene Jahrzehnt der Hip-Hop-Kultur“ (16. August, 21.50 Uhr) und „Die Ära der Supermodels“ (16.August, 22.55 Uhr).

Und es war ja nicht alles schlecht in den 90er-Jahren, je nachdem, für wen man sich entschied. Blur oder Oasis? Das „Cool Britannia“-Wochenende zeigt noch mal den „Britpop-Battle“ (23. August, 21.45 Uhr) zwischen den Bands, der keinen Sieger hervorbrachte, aber für Unbeteiligte enorm lustig war.

Für alle Beteiligten lustig war vor wenigen Wochen die „Welcome to the 90s – in Concert“-Show, die im Hamburger Mojo Club aufgezeichnet wurde. Die Gastgeber Samy Deluxe und China Moses begrüßten zahlreiche Gaststars wie Max Herre und Das Bo und präsentierten gemeinsam ihre eigenen und andere Hits der 90er. Arte zeigt die Aufzeichnung am 26. Juli um 23.40 Uhr. Aber das ist nur einer von vielen Höhepunkten der aktuellen „Summer of ...“-Ausgabe. „No, no! No, no, no, no! There’s no limit!“

„Summer of the 90s“ Sa/So 19.7. bis 24.8.; www.arte.tv