Obwohl es mächtig in den Kolumnisten-Fingern juckt: Kein Wort über den hirnerweichenden „Bachelorette“-Blödsinn auf RTL. Und auch nichts über die „Mit dem Zweiten singt man schlechter“-Selbstblamage des Brüssel-Korrespondenten Udo van Kampen im ZDF, der Angela Merkel zum 60. mit einem schlimmen „Happy Birthday“-Solo gratulierte.

Es gibt sie nämlich noch, die wilden, wirren, guten, ungehorsamen Sendungen. Man muss sie nur suchen – und kann hin und wieder im WDR-Spätprogramm Glück haben. „Anke hat Zeit“ ist so eine Perle, diese Woche, 90 zu kurze Minuten bis Mitternacht, wurde die sechste Folge dieser Talkshow gesendet, die genau das nicht sein will. Dort soll nicht „getalkt“ werden, und viel Show gibt’s auch nicht. Engelke fragt, was und wen und wie sie will. Nicht immer klug, nicht immer mit Konzept. Aber immer ohne Angst vor bröselnden Spannungsbögen. Alles verpasst wie die allermeisten? Kein Problem: www.ankehatzeit.de, da gibt es zeitlos schönes Anschauungsmaterial für wann auch immer nichts Besseres läuft, also für fast ständig.

Geerbt hat Engelke dieses Format von Helge Schneider, der hatte nach nur zwei Ausgaben vielleicht noch Zeit, aber keine Lust mehr auf leidenschaftlich bewahrte Ahnungslosigkeit und Mut zur Lücke. Auf dem gemütlich zusammengerümpelten Mobiliar saß auch diesmal eine Handvoll Künstler, die man nach Engelkes Meinung nicht kennen muss, aber unbedingt mal kennenlernen sollte, so ganz ohne aktuelles Buch, Film oder CD als Daseinsberechtigung. Als Talking Head, aus einer Oma-Glotze sprechend, meldete sich der Wikileaks-Gründer Julian Assange aus seiner Londoner Botschafts-Einsiedelei.

Doch Engelke verkniff sich die üblichen Schlaumeier-Fragen zu NSASnowdenMerkelhandy, sie wollte einfach sehen, wie tickt dieser sonderbare Typ? Wie geht’s ihm da, wo er jetzt feststeckt? Seinen größten privaten Wunsch – das Wiedersehen mit seiner Familie – wollte sie auch noch wissen. Nicht auszudenken, welches Kreuzverhör der hektische Wadenbeißer Frank Plasberg aus so einer Begegnung gemacht hätte. Engelke ist dieses Profilierungszeugs piepegal. Sie diskutierte lieber mit der Regisseurin Angela Richter darüber, ob Künstler heutzutage nur noch „Gebildeten-Bespaßer“ sind, ließ einen Schauspieler Wagners „Rheingold“ vertonen und klärte mit Bjarne Mädel, warum er drei Jahre lang einen Splitter im Finger ließ und wie er ihn da rausbekam. Und als Engelke nichts einfiel, um die Musik von Dobet Gnahoré zu beschreiben, endete ihre Ansage mit dem Seufzer: „Ach, googeln Sie’s doch selbst...“ In diesem Sinne: Googeln Sie doch selbst, wann die nächste Sendung kommt. Mehr Wundertüte findet sich so schnell nirgendwo.

An dieser Stelle schreiben Joachim Mischke und Alexander Josefowicz im wöchentlichen Wechsel über die Welt des Fernsehens