„Wir sind die Neuen“ ist eine feine Komödie über Existenzängste und Zukunftsträume

Warum ziehst du nicht nach Berlin, kräht die Alte die Junge an, ihr zieht doch alle nach Berlin, bloß du nicht. Anne ist ungefähr 60, fühlt sich aber noch jung genug für fesche Klamotten und sie hätte gut in der Münchner Stadtwohnung als Daueruntermieterin weiterleben können, ihr Berufsleben als Biologin ausklingen lassen und dann eben mal geschaut, wie das so ist als alleinstehende Alt-68erin in Rente. Doch Anne hat die Wohnung eben nur warmgehalten für die junge Frau, die nun ihr gutes Wohnrecht einfordert. In welchem Verhältnis genau diese Frauen zueinander stehen, die sich da nun in einem Flur irgendwo in München anblaffen, erzählt „Wir sind die Neuen“ nicht, und das braucht er auch nicht.

Viel wichtiger ist, dass der Film gleich in seiner ersten Szene seinen Ton findet, einen leichten, leicht gereizten, manchmal melancholischen, eigentlich immer lakonischen: Macht die Tür hinter euch zu, wenn ihr geht, ruft Anne, bevor sie herausstürzt und damit den für sie eh hoffnungslosen Kampf um diese Wohnung aufgibt. Diese zu verlieren kommt für eine Normalverdienerin wie Anne angesichts des heillos überteuerten örtlichen Immobilienmarktes einer Vertreibung aus ihrem bisherigen Leben gleich. Gisela Schneeberger spielt diese Anne, sie verkörpert das Erzmünchnerische in „Wir sind die Neuen“, und durch ihr bloßes Dasein in diesem Film wird bereits eine Milieugeschichte der Stadt miterzählt: München, das ist ja schon seit den Fernsehserien von Helmut Dietl aus den 70er- und 80er-Jahren auch immer ein Rückzugsgefecht der Ureinwohner vorm Heranrücken der Zuziehenden, der Besserverdienenden, der modernen Welt schlechthin, und Gisela Schneeberger war schon in „Monaco Franze“ mittendrin.

Ralf Westhoff, der Drehbuchautor, Regisseur und Produzent von „Wir sind die Neuen“, wirft einen ähnlich liebevollen, etwas spöttischen Blick auf seine Figuren wie Dietl in seinen besten Zeiten. Und das ist schon ziemlich außergewöhnlich: Wie lange ist es her, dass man mal mit einem Lächeln aus dem Kino herausgekommen ist nach dem Betrachten einer deutschen Filmkomödie? Tolle Ausnahmen wie „Oh Boy“ vor zwei Jahren bestätigen da nur die Regel.

Und wieder gibt es Sauf-Abende in der Küche und Musikgeplärre

Dabei hat Westhoff sich einen Plot ausgedacht, der zunächst tatsächlich irre ausgedacht klingt: Nachdem Anne also ihre Bleibe verloren hat, gründet sie aus Wohnungs- und Geldnot mit zwei ehemaligen, ebenfalls halbwegs mittellos durchs Leben gekommenen Mitbewohnern aus Studententagen eine Alten-WG. Und die Drei machen natürlich gleich da weiter, wo sie vor 35 Jahren aufgehört haben, mit Sauf-Abenden in der Gemeinschaftsküche, ewigen Diskussionen über irgendwelche Ideale, Musikgeplärre. Weil der Altbau dann doch sehr hellhörig ist, gehen die Neumieter den drei Studierenden in der WG obendrüber mit ihrer Hippie-Aufdringlichkeit gleich furchtbar auf die Nerven. Die jungen Leute müssen nämlich lernen, nicht fürs Leben, sondern fürs Überleben in einer neuen Welt, in der in ihren Augen Erfolg das Wichtigste ist und in der an Liebe und am Glück gearbeitet werden muss wie an einem Projekt. Die Fronten sind also rasch geklärt, jung verspießt gegen alt verlottert. Der ewige Generationenkonflikt, so weit, so konstruiert, so stereotypisch.

Westhoff aber hat ein feines Gespür für Situationskomik und dem wahren Leben abgelauschte Dialoge, und vor allem weiß er, was jede wirklich gute Komödie auszeichnet: Die handelt eigentlich von der Vergeblichkeit der menschlichen Existenz und von all den elementaren Ängsten, mit denen man sich so durchs Leben schleppt. Eine wirklich gute Komödie muss die Menschen deshalb erst mal ernst nehmen, damit man dann über sie lachen kann, und sie macht die, die sie zeigt, niemals lächerlich. Das alles gelingt in „Wir sind die Neuen“, und Westhoffs Ensemble spielt das ganz wundervoll. Neben Gisela Schneeberger geben Heiner Lauterbach und Michael Wittenborn (Ensemblemitglied am Hamburger Schauspielhaus) die Alten, und dass Westhoff sie länger und zärtlicher betrachtet als die Jungen (Claudia Eisinger, Karoline Schuch, Patrick Güldenberg) ist fast selbstverständlich: Die Alten hatten mehr Zeit fürs Scheitern und fürs Gelingen ihrer Geschichten. Und sie haben am Ende einfach viel mehr zu verlieren als nur ihre Ängste.

++++- „Wir sind die Neuen“ Deutschland 2014, 91 Min., o. A., R: Ralf Westhoff, D: Heiner Lauterbach, Gisela Schneeberger, Karoline Schuch, täglich im Abaton, Holi, Passage, UCI Mundsburg, Zeise; www.wirsinddieneuen.x-verleih.de