Der atemberaubende Animationsfilm „Wenn der Wind sich hebt“ soll der letzte von Meister Hayao Miyazaki sein

Hayao Miyazaki ist seit einem Vierteljahrhundert der amtierende Gott des Animationsfilms. Das wissen vor allem jene, die gern selbst zu Trickkönigen erhöht werden. Die Männer von Pixar haben aus ihrer Verehrung für Miyazaki nie einen Hehl gemacht, sie sind wiederholt zu ihrem Idol gepilgert, und letztlich ist es ihr Verdienst, dass Disney Miyazakis Filme in seinen Verleih aufnahm und so die ganze Welt das Wunder aus Tokio zu Gesicht bekam. Doch nun hat Gott seinen Rücktritt beschlossen: „Wenn der Wind sich hebt“ sei sein letzter Film.

Der Anime-Meister hatte seinen Rückzug schon einmal angedroht, nach „Prinzessin Mononoke“, der in Berlin als erster Animationsfilm überhaupt eines der großen Festivals gewann. Doch damals war Miyazaki 15 Jahre jünger, und es folgten noch „Chihiros Reise ins Zauberland“ – sein populärstes Werk – und „Das wandelnde Schloss“ und „Ponyo“.

Der Heilige Gral des neuen amerikanischen Animationsfilms von Pixar bis DreamWorks besteht in seiner gleich starken Zugkraft für Kinder und Erwachsene; den Kleinen gefallen die simplen Geschichten, und die Großen amüsieren sich über die popkulturellen Zitate. Auch Miyazaki erzählt moderne Märchen – wie von der Kriegerprinzessin „Nausicaä“ oder von „Porco Rosso“, dem in ein Schwein verwandelten Piloten –, aber belässt sie in ihrer vollen Komplexität. Die Lösung besteht nicht darin, den Schurken außer Gefecht zu setzen und die Liebe siegen zu lassen. Der zentrale Konflikt bei Hayao Miyazaki ist nicht der kindliche zwischen Gut und Böse, sondern der erwachsene zwischen Mensch und Natur.

Sucht man einen Gedanken, der sich durch all seine Filme zieht, ist es dieser: Es könnte sein – und wünschenswert sein –, dass sich die Herrschaft des Menschen über diesen Planeten dem Ende zuneigt. In seinem tiefsten Inneren ist Miyazaki wohl ein Moralist des Untergangs, und in „Wenn der Wind sich hebt“ schlägt wie ein Blitz aus heiterem Pastellhimmel das Tokio-Erdbeben von 1923 ein, das zehnmal so viele Opfer forderte wie das Tsunami-Beben von 2011.

Eine zweite Obsession zieht sich durch alle Miyazakis, der Traum vom Fliegen, der letztlich nichts anderes ist als die Sehnsucht, dieser verkorksten Zivilisation zu entfliehen. Seine Filme wimmeln von fliegenden Objekten, von Besen über Drachen und Zeppeline bis zu kompletten Schlössern. In „Wenn der Wind sich hebt“ bevölkern Eindecker und Doppeldecker die Lüfte und Tripeldecker und dreifache Tripeldecker – Miyazaki’sche Fantasiegeschöpfe par excellence. Erstmals jedoch stellt Miyazaki einen Flugapparat ins Zentrum, der wirklich existiert hat – das japanische Kampfflugzeug Mitsubishi Zero –, und einen Menschen, der tatsächlich lebte: dessen Designer Jiro Horikoshi.

Wir treffen Horikoshi zunächst als klassischen Miyazaki-Jungen, der im Gras liegt, sehnsüchtig gen Himmel sieht und in seinen Träumen auf den Dachfirst klettert, um sich mit einer dort geparkten Propellermaschine in die Lüfte zu schrauben. Bisher hatte Miyazaki den Blick auf seine konkreten Schauplätze – das japanische Mittelalter, das viktorianische London, das moderne Japan – durch Schichten und Schichten von Fantasy gebrochen; hier dreht er Technik und Perspektive richtiggehend um. Jiro Horikoshi und Hayao Miyazaki waren Künstler in einem industriell organisierten Umfeld, dem Flugzeugbau und dem Kino. Horikoshi sollte sein Ideal von Schönheit zum idealen Flugapparat formen und Miyazaki die Essenz von Schönheit in handgezeichneten Animationen einfangen. Miyazaki hat es verstanden, sich diesen Zwängen durch die Gründung eines eigenen Studios zu entziehen, wo bis zum heutigen Tag trotz des überwältigenden ökonomischen Drucks zur Computeranimation weiter per Hand gezeichnet wird – und dem verdankt sich die atemberaubende Schönheit seiner Filme.

++++- „Wie der Wind sich hebt“ Japan 2013, 126 Min., ab 6 J., R: Hayao Miyazaki, täglich im Abaton