Der Dokumentarfilm „Finding Vivian Maier“ würdigt posthum eine Spitzenfotografin

Sie arbeitete als Kinderfrau in Chicago. Nebenbei war sie mit der Rolleiflex-Kamera unterwegs, fotografierte wie ein Profi, nein, wie eine Künstlerin, hoch talentiert, neugierig, schnell. Vergleiche mit Diane Arbus, Robert Frank und Lisette Model sind nicht zu hoch gegriffen. Aber die Story von Vivian Maier (1926–2009) ist keine Aufsteigergeschichte. Erst nach ihrem Tod bekommt ihre Straßenfotografie die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Wollte oder konnte die Fotografin nicht? Sie ließ nur wenige Vergrößerungen anfertigen, der Großteil ihrer Negative wurde nach ihrem Tod unentwickelt aufgefunden.

„Finding Vivian Maier“ erzählt eine wahre Geschichte, die ein Spielfilmpublikum als unwahrscheinlich belächeln würde. Für eine Hollywoodfigur fehlt es der verschrobenen, groß gewachsenen Frau mit dem militärischen Gang und der heimlichen Leidenschaft fürs Fotografieren am Willen zum Erfolg. Charlie Siskel und John Maloof haben einen Dokumentarfilm über eine außergewöhnliche Frau und ihre posthume Würdigung als Spitzenfotografin gedreht.

Maloof, heute Nachlassverwalter der Fotografin, stieß 2007 während einer Zwangsversteigerung auf Maiers Bilder, spürte ihre Qualität, erzielte mit 200 auf eine Website gestellten Bildern Klickrekorde, organisierte eine viel beachtete Ausstellung und bat Experten um ihre Meinung. Der Fotograf Joel Meyerowitz, der auch im Film interviewt wird, attestiert Maier einen „unverfälschten Blick“ und „tiefen Sinn für die menschliche Natur“. Was in der Doku an eindrücklichen Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen ist, lässt keinen Widerspruch aufkommen. Nachblättern kann man in einem Bildband, der im Jahr 2011 im Verlag Schirmer/Mosel erschienen ist.

Verblüffend, die hohe Ausbeute der Fotografin an ausdrucksstarken Bildern pro Rollfilm, irre, wie sie den Leuten mit ihrer zweiäugigen Mittelformatkamera auf den Leib rücken und im rechten Moment zuschnappen konnte. Doch selbst ließ sich Maier von kaum jemand in die Karten schauen.

Siskel und Maloof machen es spannend, indem sie die Suche nach der mysteriösen Fotografin in die Erzählstruktur des Films übernehmen. Neben Fotografen und Galeristen kommen Eltern und ehemalige Schutzbefohlene zu Wort – Zeitgenossen, die Maloof nur mit Mühe ausfindig machte. Die Bildwelten einer Freizeit-Soziografin stehen einem von Beklemmungen und Einsamkeit überschatteten Alltag gegenüber.

Als hätte es viele Vivians gegeben, loben einige ihre liebevolle Natur, während andere von der Exzentrik oder gar den dunklen Seiten ihrer Kinderfrau berichten. Maier nahm Kinder mit auf Fotostreifzüge in gefährliche Gegenden von Chicago. Sie konnte wohl auch gewalttätig werden, gegen Männer, die sie generell hasste, und später auch gegen Kinder. Mehr und mehr wurde Vivian Maier von ihren Arbeitgebern und wenigen Freunden als Belastung empfunden. Sie begann stapelweise Zeitungen zu horten, legte eine Gier nach Informationen und Bildern an den Tag, die sie kaum mehr zu kontrollieren schien. Maier starb verarmt und einsam in der Nähe von New York.

++++- „Finding Vivian Maier“ USA 2013, 83 Min. o. A., R: Charlie Siskel und John Maloof, täglich im Abaton (OmU), Passage, Zeise (OmU); www.findingvivianmaier-derfilm.de