„Violette“ blickt auf die tragische Biografie der französischen Autorin Violette Leduc

Dieses Glück widerfährt Romanschriftstellern im Kino zweifellos häufiger als im Leben: gleich auf Anhieb den ersten Satz zu finden. Der Auftakt entscheidet ja über so viel. Er kann ein Versprechen sein, eine Herausforderung an die Neugierde des Lesers.

Wer weiß schon, ob der Auftakt zu Violette Leducs Debütroman „L’ Aspyxie“ (Das Ersticken) 1942 tatsächlich so aus ihr heraussprudelte, wie es sich Martin Provost in seinem Film einbildet? Nur die Kamera ist Zeuge dieses magischen Augenblicks. Violette (Emmanuelle Devos) setzt sich unter einen Baum und nimmt ein Blatt Papier zur Hand. „Meine Mutter hat nie meine Hand gehalten“, schreibt sie und hält einen Moment inne. Ihr Blick schweift zu den Ästen empor. Nun gibt es kein Zurück mehr: Eine Schriftstellerin ist geboren. Es ist einer jener Sätze, mit denen man bereits den Schlüssel zum Buch oder gleich zum Leben der Autorin in Händen zu halten glaubt.

Das Motiv der gehaltenen Hand dekliniert „Violette“ vielfach durch: nicht nur als Widerruf ihres Kindheitstraumas, sondern auch als sporadische Geste der Ermutigung. Der Prolog führt sie als ein gehetztes Wild ein, das unter der deutschen Besatzung von Diebstahl und Schwarzmarkthandel lebt. Weshalb sie schreibt? Um nicht zu sterben.

Provost erzählt dieses Leben in Kapiteln, die ihm eine Ordnung verleihen, die es in Wahrheit nicht besaß. Seine Tragik erfüllte sich vielmehr im Scheitern der Ablösung, der Vernarbung. Dennoch folgt dieses Defilee der Lebensabschnitte einer biografischen Wahrheit. Die Kapitel sind nach Begegnungen benannt, die Violette prägten: mit Männern (Maurice Sachs, Jean Genet u.a.), die Violettes Liebe nicht erwidern konnten, weil sie homosexuell waren; mit Simone de Beauvoir, die ihre wichtigste, loyalste Förderin wurde, sie aber ebenfalls auf Distanz hielt; ein späteres Kapitel schließlich ist ihrer Mutter gewidmet, an deren emotionaler Zurückweisung zu verzweifeln die Tochter nie aufhören konnte.

Devos verleiht der verfemten Schriftstellerin, die die Konventionen der Literatur und der Geschlechterverhältnisse in den 40er- bis 60er-Jahren kühn unterlief, große innere Leuchtkraft. Violette führt ein ungeschütztes Seelenleben. Sie ist nicht bloß eine Figur, der Dinge widerfahren. Sie stellt unerbittliche, zerstörerische Forderungen ans Leben. Es braucht Kraft, die Welt unausgesetzt vor den Kopf zu stoßen. Nie jedoch behauptet Provost, das Rätsel ihrer Inspiration vollends zu entziffern. Violette, das ist auch ein Zeichen erzählerischen Respekts, darf unergründlich bleiben. Für die Literaturwissenschaft ist dies Melodram nur bedingt von Nutzen. Auch als Ausstattungskino macht es erfreulich wenig her. Sein Erzählgestus ist zu intim, um in diese Falle zu tappen.

++++- „Violette“ Frankreich/Belgien 2013, 139 Min., ab 12 J., R: Martin Provost, D: Emmanuelle Devos, Sandrine Kiberlain, Olivier Gourmet, täglich im Blankeneser Kino, Holi; www.violette-film.de