In einem Dokumentarfilm huldigen namhafte Regisseure den „Kathedralen der Kultur“ in 3-D

Wer hat sich nur diesen Titel ausgedacht, der die Erinnerung an schulische Filmstunden wachruft, in denen „Kulturfilme“ mit leicht eiernder Tonspur vorgeführt wurden? Wenn sich die Kamerafahrt in die filigranen Turmspitzen gotischer Dome hinaufschraubte, überschlug sich die pathetische Stimme des Sprechers fast.

„Kathedralen der Kultur“ – die Titelwahl entspringt entweder einem ziemlich coolen ironischen Understatement, oder sie zeigt an, dass wir im Begriff sind, wieder in ein Zeitalter bildungs- und kulturreligiöser Bürgerlichkeit einzutreten, und das in 3-D, also mit diesen unverwechselbaren Brillen auf der Nase.

Fünf von sechs Autoren dieses Filmprojekts haben die konzeptionelle Grundidee, Gebäude selbst ihre Geschichte erzählen zu lassen, mit klassischen Kulturinstitutionen verknüpft und zeigen das, was das geübte Kulturpublikum schon hundertmal gesehen hat, auf eine in Maßen neue Weise. Nur einer, der Däne Michael Madsen, schert aus und führt den Zuschauer an einen Ort und in ein Gebäude, die völlig abseits der kulturtouristischen Hauptwechsel liegen, ins norwegische Halden-Gefängnis nämlich, das er ein „Gesamtkunstwerk der Resozialisierung“ nennt.

Tief im Wald liegt das riesige Areal. Die Natur bildet die gnädige Kulisse für das harte Geschäft der gesellschaftlichen Korrektur. Und die 3-D-Technik macht hier wirklich erfahrbar, was es bedeutet, eingesperrt zu sein. Das Gefängnis, das von sich mit weiblicher Stimme erzählt, macht sich über sich keine Illusionen und prahlt auch nicht damit, dass es vom „Time Magazine“ als „humanstes Gefängnis der Welt“ bezeichnet worden ist. Das Gefängnis weiß um die Fragwürdigkeit des Sinns der Strafe und des Strafvollzugs.

Das Gefängnis weiß auch, dass die architektonische Idee, die ihm zugrunde liegt, Etikettenschwindel ist. Die Architekten wollten die schroffe Trennung zwischen Drinnen und Draußen überwinden. Weil Michael Madsen mehr und anderes im Sinn hatte, als diese Architekturidee zu bebildern, weil er Räume betritt, die weder öffentlich noch privat, sondern anstaltsspezifisch sind, gelingt ihm ein Film, der aus den sechs Beiträgen des Kulturkathedralen-Omnibusses deutlich herausragt.

Der zweite Beitrag, der mehr und anderes bietet als Gefälliges, ist Michael Glawoggers Porträt der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg, der einzigen der sechs „Kulturkathedralen“, die nicht klassisch-moderner oder zeitgenössischer Architektur entspringt. 1814 erbaut, hat das Haus zwei Jahrhunderte russischer Geschichte in sich aufgenommen und ist selbst zu einem gigantischen Geschichtsbuch geworden.

Sein labyrinthisches Inneres ist nicht der Treffpunkt eines globalisierten Kulturpublikums, sondern das Reich stiller, prädigitaler Bibliothekarinnen in grauen Kitteln. Als dreidimensionale Objekte können Bücher wunderbar in ihrer Materialität abgetastet werden. Jedes Eselsohr, jede Schrunde im Einband, die Textur des Papiers, all das wird erfahrbar. Glawogger gönnt dem Zuschauer diesen Genuss ausgiebig. Doch demonstriert er auch, welche Gewalt die 3-D-Technik in Verbindung mit Digitalisierung auf das Buch ausüben kann. Den Illustrationen zur Schöpfungsgeschichte in einer mittelalterlichen Bibel fügt er die dritte Dimension hinzu und sprengt damit die Grenzen des Mediums Buch. Er macht es damit aber auch zum Kadaver. Prachtvoll sind die Lesesäle der Nationalbibliothek – und still und leer wie Mausoleen.

Wim Wenders hat die Berliner Philharmonie porträtiert, Robert Redford das Salk Institute, ein biomedizinisches Forschungslabor in La Jolla an der kalifornischen Küste, Margreth Olin das Opernhaus in Oslo und Karim Ainouz das Centre Pompidou in Paris. Sie alle feiern diese Gebäude. Es herrscht ein Dauerton beschwingter Begeisterung, der einem in gut zweieinhalb Stunden schon auf die Nerven gehen kann, zumal die Überwältigungswirkung der 3-D-Effekte schnell nachlässt.

Es liegt ja auf der Hand, dass Architektur und 3-D aufeinander fliegen. Dasselbe gilt, wie auch in diesem Film zu sehen ist, für den Tanz. Künste, die den Raum gestalten, fordern auf der flachen Leinwand die Illusion des räumlichen Sehens. Es ist aber eben doch eine Illusion. Und das merkt man.

++--- „Kathedralen der Kultur“ D/DK/A/N 2014, 156 Min., o. A., R: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz, täglich Abaton, Koralle, Passage; www.kathedralenderkultur-derfilm.de