Maximilian Erlenweins Thriller „Stereo“ spielt gekonnt mit Elementen des Horrorfilms

Durchs Fenster nimmt Erik in der Ferne eine diffuse Bedrohung wahr. Mitten im Feld vor dem Haus seiner Freundin steht mit unheimlich lauernder Präsenz eine dunkle Männergestalt, der Kopf gebeugt, das Gesicht durch eine Kapuze bedeckt. Die gespenstische Erscheinung spielt mit den Elementen des Horrorfilms, doch Erik ahnt, dass ihn hier die Großstadtvergangenheit einzuholen droht, vor der er geflohen ist, um ein kleines, ruhiges Leben auf dem Land zu beginnen. Mit Ein-Mann-Motorradwerkstatt und neuer Freundin (Petra Schmidt-Schaller) samt Patchwork-Tochter. Immer dichter rückt ihm dieser Mann in den folgenden Tagen auf die Pelle, und dann stellt sich bald auch noch heraus, dass nur er ihn sehen und hören kann, all die vieldeutigen Bemerkungen und zynischen Kommentare. Könnte es sein, dass der Feind gar nicht von außen kommt, sondern von innen?

Wie schon in seinem Debüt „Schwerkraft“ nimmt Maximilian Erlenwein auch in „Stereo“ wieder eine Fülle von Genremotiven aus dem amerikanischen Erzählkino auf. Inspirieren ließ er sich dabei insbesondere von einem Film mit ganz anderem Tonfall, der US-Komödie „Mein Freund Harvey“, in der James Stewart einen großen, weißen Hasen als unsichtbaren Begleiter hatte. Während Henry Koster komödiantische Funken aus diesem Szenario schlug, schürt Erlenwein düstere Psychothriller-Ängste. War der unsichtbare Freund dort ein Engel, der sich helfend in die Lebenskrisen einmischte, ist er hier eine zerstörerisch böse Kraft. Unablässig stichelt und provoziert der unliebsame Gast, er demontiert Eriks Lebenslügen und stachelt seine Aggressionen an. Zwischen Wahn und Wirklichkeit ist er immer zugleich Widersacher und Verbündeter, wobei nur Erik weiß, wessen Gestalt er hat.

Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu, zwei deutsche Schauspieler mit einer sehr physischen und instinktiven Präsenz, tragen hier zum ersten Mal und mit offensichtlichem Vergnügen gemeinsam einen Film, der sich mehr noch als „Schwerkraft“ in eine lichte Tag- und eine finstere Nachtseite aufteilt. Hier das idyllische Leben mit Liebeskabbeleien im Bett und zärtlich verspielten Vatermomenten am Kinderspielplatz. Dort die zwielichtigen Gestalten, die seit Kurzem das Dorf bevölkern und besser zu Eriks Erscheinung passen, mit seiner Rocker-Rowdy-Attitüde, der Motorradlederkluft, dem kahl geschorenen Kopf und zahllosen Tattoos, darunter ein prominentes „Halunke“ in schwarzen Frakturlettern quer über den Unterarm.

Aus diesem alten Leben hat Erik noch eine offene Rechnung mit dem Berliner Gangsterboss Keitel, den Georg Friedrich lustvoll als proletarisch österreichische Version von Al Pacinos „Scarface“ spielt. So verlagert sich die zunehmend gewalttätigere Handlung vom sonnigen Tag in die finstere Nacht, vom Land in die Stadt, vom geregelten Familienleben zur kriminellen Unterwelt in Bars und Spelunken. Kameramann Ngo The Chau, der schon für in Erlenweins „Schwerkraft“ und Christian Alvarts „Banklady“ stimmungsvolle Bilder erschaffen hat, taucht den Film in eine zunehmend schwefligere Stimmung mit Reminiszenzen an David Finchers „Fightclub“ oder Nicholas Winding Refns „Only God forgives“, unterstützt von den treibenden Elektrobeats des Soundtracks von Enis Rotthoff. „Stereo“ ist ein labyrinthartiges Spiel mit den Identitäten und ein fiebriger Psychotrip in verborgene Sehnsüchte und Triebe, der auch den Zuschauer mit seinem Gewaltpotenzial konfrontiert.

++++- „Stereo“ D 2014, 96 Min., ab 16 J., R: Max Erlenwein, D: Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich, tägl. im Abaton, Cinemaxx Dammtor, Studio,, UCI Othmarschen-Park/ Wandsbek, Zeise; www.stereo-derfilm.de