Konzert in der Fabrik

Maritime Lieder jenseits von Vorzeige-Panoramen

| Lesedauer: 5 Minuten
Birgit Reuther

Die Hamburger Band Hafennacht singt an diesem Montag in der Fabrik bei „Hamburg Sounds“, der Konzertreihe von NDR 90,3. Ihre Songs handeln von Erschöpfung und Einsamkeit, von Traurigkeit und auch Trotz.

„So ein Postkartenidyll, das wollten wir nie“, sagt Uschi Wittich und nippt an ihrer Tasse Tee. Dunkle Wolken dräuen über dem Hinterhof auf St. Pauli, wo die Sängerin mit ihrer Band Hafennacht seit zehn Jahren maritime Lieder probt und aufnimmt, komponiert und erdichtet. Gitarrist Erk Braren hat nahe der Elbe ein kleines Lebens- und Kreativ-Idyll geschaffen. Über die versteckte Terrasse schallen wilde Rufe von Fußball spielenden Kindern irgendwo auf dem Kiez. Eine Treppe führt hinab zum Musikstudio, wo nun das vierte Album des Trios entstanden ist. In Eigenregie. Und, so sagt Wittich, „mit viel, viel Herzblut.“

Diese extra Portion Leidenschaft ist in den Songs von Hafennacht deutlich zu spüren. Und das gerade, weil Wittich nicht die kitschig glitzernde Elb-Romantik besingt, weil die Band nicht die knallbunte Ansichtskarte vom Meer in Musik umwandelt. Vielmehr loten die Drei all die Zustände vom Flussufer bis zur hohen See aus, die zwischen den Zeilen liegen. Zwischen den Wellen. Zu erleben sind diese Zuhörsongs am heutigen Montag in der Fabrik bei „Hamburg Sounds“, der Konzertreihe des Senders NDR 90,3.

„Fischmarkt“ zum Beispiel ist ein sehnsüchtiges Liebeslied, das von Erschöpfung und Einsamkeit, von Traurigkeit, aber auch Trotz erzählt. Wittich singt vom „ersten Sonnenlicht am Sonntag“. Von jenen, die von der Nacht übrig geblieben sind. Und sie erzeugt in zart-bitterer Poesie ein Gefühl von Heimat jenseits von Vorzeige-Panoramen. Heiko Quistorf, der Dritte im Bunde, spielt sein Akkordeon, als ziehe und zerre eine Brise melancholisch am Gemüt. Hamburg, grau und schön.

„Das ist ’ne irre Welt“, sagt Wittich über die frühen Morgenstunden auf dem Fischmarkt. „Die Marktbeschicker. Die Leute auf den Kaimauern, die die Nacht durch gefeiert haben. Jeder quatscht mit jedem. Das ist eine intensive Stimmung“, erzählt Wittich, legt ihr Gesicht in die Hände und guckt kurz ganz verträumt. Auch derberen Gefilden vermag Hafennacht magische und amüsante Seiten abzugewinnen. Die leicht beschwingte Nummer „Tresenkönigin“, die aus der Feder des Textdichters Jens Wormstedt stammt und der neuen Platte den Namen gibt, führt in die rauchverhangene Welt der Kaschemmen und Spelunken. Wo sich unter den Tisch getrunken wird. Und wo Schnickschnack wie Tomatensaft und Trendbestellungen von Touristen keinen Platz haben. „Ich kehr’ Dich vor die Tür zusammen mit all den Nullen hier / und gratis gibt’s von mir einen Kater mit als Kuscheltier.“ Mit Zeilen wie diesen verleiht Wittich all jenen Wirtinnen, die in den Hafenbars das Ruder in der Hand halten, eine Stimme.

„Wir sind viel auf den friesischen Inseln unterwegs. Auf jeder Insel gibt es eine dieser alten Kneipen, wo wir dann sehr gerne unsere Lieder spielen“, sagt Braren, der auf Föhr aufgewachsen ist. Für Wittich steht der Tresen sinnbildlich für das Leben. „Es geht ja nicht nur um das Trinken, sondern vor allem darum, sich zu treffen. Man flirtet, man verliebt sich, man trennt sich. Man erzählt viel, und die Geschichten schaukeln sich hoch. Da ist auch viel Dichtung dabei“, sagt sie. Fasziniert ist Wittich zudem von der Historie der Hafenbars. Das Lied „Hamburg Hohe Speicher“ etwa, dessen Verse einem Gedichtband von Bern Hardy entnommen sind, widmet sich Hermine Hansen, die bis zu ihrem Tod 1971 Jahrzehnte lang die Seemannskneipe „Zur Kuhwerder Fähre“ im Hamburger Hafen bewirtschaftete. „Früher hatten die Tresenleute richtig Einfluss auf die Seefahrer. Die haben Geld verwaltet und Jobs vermittelt“, erzählt Wittich mit leuchtenden Augen.

Wer sich mit der Band unterhält, merkt schnell, wie sehr sich die Musiker verbunden fühlen mit dem Hafen, der Schifffahrt, der maritimen Kultur. Uschi ist passionierte Seglerin. Braren hat als gebürtiger Friese ohnehin reichlich Nordwind im Blut. Und Quistorf, „der fährt immer wieder mit uns ans Meer, weil er eben mit muss“, sagt Wittich und lacht. Auf jedem Album arrangiert das Trio auch bekannte Lieder, die von Kähnen und Katastrophen, vom Wogen und Tosen handeln. Dieses Mal ergänzen zum Beispiel die „Seeräuber Jenny“ und „Surabaya Jonny“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht das selbst geschriebene Material. Ebenfalls zu hören ist eine französische, angenehm reduzierte Variante des traditionellen Stücks „Santiano“, das durch die gleichnamige Shanty-Kapelle jüngst zur Volksfest-Hymne avancierte. „Das Maritime ist ja sehr trendy und lässt sich offensichtlich gut vermarkten“, sagt Wittich mit einem Schmunzeln.

Und wenn der Band die ganzen Seemannsklischees zu viel werden, wenn die drei den „Buddelschiff-Blues“ haben und zudem „einen Seemannsknoten im Hals“, dann singen sie ihr „Inselkollerlied“, wie Wittich es nennt. „Ich kann kein Wasser mehr sehen“ ist ein Song, der augenzwinkernd abrechnet mit überstrapazierter blau-weiß geringelter Folklore. Sollen andere doch Grog aus formschönen Kapitänspötten trinken. Wittich, Braren und Quistorf, die stellen sich derweil an den Tresen.

Hamburg Sounds mit Hafennacht, Maybebop (a-cappella), Bastian Baker (Pop) Mo 12.5., Einlass: 19.00, Beginn: 20.00, Fabrik (SAltona), Barnerstr. 36, 23,- Ak.; das Album „Tresenkönigin“ ist ab 15.5. unter www.hafennacht-ev.de zu bestellen; weitere Konzerte: u.a. 27.10. Winterhuder Fährhaus