Das Drama „Lauf Junge Lauf“ fußt auf einer wahren Story

Anne Frank, Hitlerjunge Salomon, Lore: Die Schrecken einer Zeit lassen sich an Kinderschicksalen erschütternd nachvollziehen. Das gilt auch für den achtjährigen Jurek, der in Wirklichkeit Yoram Fridman heißt. 1942 gelingt ihm die Flucht aus dem Warschauer Ghetto. Danach schlägt er sich drei Jahre lang durch. Erst schließt er sich einer streunenden Kinderbande an, die von den Nazis auseinandergescheucht wird. Im harten polnischen Winter klaut er kärgliche Lebensmittel auf Bauernhöfen. Manche Bauern helfen ihm, so lange sie können, eine Katholikin kümmert sich mütterlich um ihn. Ein Ehepaar verrät ihn für kleines Belohnungsgeld, ein Nazi-Offizier will ihn erschießen, bei einem Arbeitsunfall verliert er seinen rechten Arm. Er wird gejagt, versteckt, ausgeliefert und rennt doch rastlos immer weiter, stets die letzten Sätze seines Vaters im Ohr: „Du musst überleben!“. Und vergiss nie, dass du jüdisch bist!“

Ein unschuldiges Kind, das über sich hinauswächst und sogar eine Art Happy End erleben darf – das muss für Hollywood eine große Versuchung gewesen sein. Es gab viele Interessenten für die Verfilmung des Tatsachenromans, den Uri Olev, auch er ein polnischer Holocaust-Überlebender, aus den Ereignissen destilliert hat. Und es ist nicht selbstverständlich, dass der heute 80-jährige Fridman seine Geschichte einem Deutschen anvertraut hat.

Für Regisseur Pepe Danquart ist „Lauf Junge Lauf“ eine Geschichte, die so noch nie erzählt wurde, das existenzielle Abenteuer eines Huckleberry Finn im Holocaust. Äußerlich erzählt sie vom Überleben gegen unmenschliche Widerstände und eröffnet die inneren Abgründe eines Jungen, der seine Identität verleugnen muss. Unablässig wird dem Kind mehr zugemutet, als ein Erwachsener ertragen könnte, zugleich ist er gerade durch die kindliche Lust am Abenteuer auch geschützt.

Anders als zuletzt in „Die Bücherdiebin“ sind die 40er-Jahre hier kein steriles Studiomärchenland, sondern raue, harsche Realität, die man mit den Augen des Jungen wahrnimmt. Ein Glücksfall für den Film sind die Zwillingsbrüder Andrzej und Kamil Tkacz, die den Jungen im Wechsel spielen – eine Erleichterung auch bei den gesetzlichen Beschränkungen für Kinderarbeitszeiten. Was muss es für die beiden Jungen von heute bedeutet haben, diese Geschichte so unmittelbar zu durchleben? Dank der ergreifenden und ungekünstelten Wahrhaftigkeit ihres Spiels eröffnen sie einen unverstellten Blick auf die Vergangenheit.

Anders als bei Anne Frank bietet das Schicksal hier, allen Leiden zum Trotz, einen Funken menschlicher Hoffnung: Am Ende ist Yoram Fridman in Israel mit seiner Familie zu sehen.

++++- „Lauf Junge Lauf“ D/F/PL 2013, 108 Min., ab 6 J., R: Pepe Danquart, D: Andrzej und Kamil Tkacz, Elisabeth Duda, täglich im Abaton, Blankeneser; www.laufjungelauf-derfilm.de