„Molière auf dem Fahrrad“ ist eine großartige Komödie über einen Philosophen

Mehr als eine Million Zuschauer scharte „Molière auf dem Fahrrad“ bereits wenige Wochen nach seinem Kinostart in Frankreich um sich, obwohl in der Komödie nicht viel mehr passiert, als dass zwei Schauspieler ein Stück von Molière einstudieren und darüber fachsimpeln, wie man dessen Alexandrinern gerecht wird. Für Serge Tanneur (Fabrice Lucchini) ist es Diebstahl, wenn man nur eine Silbe fortlässt. Gauthier Valence (Lambert Wilson) hingegen findet das nicht gar so frevelhaft. Es ist ein Duell der gegensätzlichen Prinzipien und Temperamente, das Regisseur Philippe Le Guay seine Stars austragen lässt. Serge ist ein glühender Traditionalist, der sich aus Abscheu aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Gauthier wurde als Hauptdarsteller einer TV-Serie geradezu unzüchtig populär und will sich mit der Rückkehr zur Bühne künstlerisch rehabilitieren. Dafür hat er sich ausgerechnet ein Stück ausgewählt, das die Messlatte ganz oben anlegt: „Der Menschenfeind“, und Serge soll Alceste spielen.

Der Einsiedler Serge leistet erbitterten Widerstand gegen den Vorschlag. Aber wer weiß, ob sein Nein nach ein paar Tagen nicht doch widerruflich sein wird? Vorsichtshalber entscheiden sie vor jeder Textprobe mit einer Münze, wer welche Rolle übernimmt. Dabei sind die Karten eigentlich längst ausgeteilt. Natürlich entspricht Serge Alceste, der nach strengen Grundsätzen über die Menschheit urteilt. Gauthier hingegen ist geschmeidig wie dessen Freund Philinte, er achtet die Konventionen der Höflichkeit.

Die Figuren mögen rivalisieren, ihre wortverliebten Darsteller indes haben ein diebisches Vergnügen am Miteinander. Le Guay filmt sie mit stolzer, agiler Genügsamkeit. Es schadet allerdings nicht, dass die Italienerin Francesca (Maya Sansa) zusätzlichen Elan in die Zweisamkeit bringt. Sie ist kein Gegenstück zu Molières koketter Célimène, sondern begegnet dem Narzissmus der Männer mit freundlicher Skepsis. Luchini spielt eine Figur, die in den Bann eines verschollenen, befreienden Lebensgefühls gerät. Aber das Funkeln in seinen Augen ist vieldeutig. Dieser Schauspieler scheint stets wieder erstaunt zu sein über das Maß an Herablassung und Schäbigkeit, zu denen er seine Charaktere befähigt. Wilson pariert sie mit robuster Verletzbarkeit. Bei aller Zuneigung zu den Figuren übertreibt es der Regisseur nicht mit der Nachsicht. Beide sind zu Heuchelei und Verrat fähig. Am Ende hat der Zuschauer die Gewissheit: Es ging nie nur um Molière, sondern darum, das Leben neu zu entdecken.

++++- „Molière auf dem Fahrrad“ F 2013, 107 Min., o. A., R: Philippe Le Guay, D: Fabrice Luchini, Lambert Wilson, Maya Sansa, täglich im Blankeneser Kino, Holi