Die sehenswerte Dokumentation „Ai Weiwei – Evidence“ porträtiert den Künstler am Vorabend seiner bislang größten Werkschau im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Eine gellende Sirene im dichten Pekinger Verkehr, dramatische Arpeggien auf dem Klavier. Manchmal sei er verzweifelt, aber oft doch voller Freude, sagt Ai Weiwei aus dem Off. „Ich fühle, dass sich die Anstrengung lohnt.“ Versonnen streift der chinesische Künstler, ein rundlicher Mann mit Bart im Blaumann über das Gelände seines Ateliers. Immer in der Nähe seine beiden langhaarigen Katzen. Die Dokumentation „Ai Weiwei – Evidence“ von Grit Lederer, die heute auf Arte zu sehen ist, zeigt einen Mann, gefangen im eigenen Land.

Der Fall des Künstlers Ai Weiwei rückt dieser Tage wieder einmal in das öffentliche Bewusstsein. Obwohl er niemals als Krimineller angeklagt wurde, sperrte ihn die chinesische Obrigkeit im Jahre 2011 für 81 Tage in eine winzige Zelle mit zwei Bewachern. In einem diffusen Mix warf sie ihm angebliche Steuervergehen, Aufrührertum und wegen seines unehelichen Sohnes Vielweiberei vor. Er kam frei, seinen Reisepass hat er bis heute nicht zurück. Weshalb der Künstler derzeit auf gepackten Koffern sitzt, aber nicht weiß, ob er zur Eröffnung seiner weltweit größten Einzelausstellung „Evidence“ im Martin-Gropius-Bau nach Berlin reisen darf, die am 3. April eröffnet wird.

Filmemacherin Grit Lederer verschränkt Interviewszenen mit Gesprächen, die Ai Weiwei gemeinsam mit Museumsdirektor Gereon Sievernich bei der Vorbereitung zur Ausstellung zeigen. Die Dokumentation zoomt so dicht heran an Atelierarbeit und Kuration, dass man mitunter vergisst, dass der Konzeptkünstler und Aktivist seit Jahren ein Weltstar ist, der großformatige Installationen für Millionen verkauft und seinen Ruhm nutzt, um sich an der Barbarei der kommunistischen Diktatur abzuarbeiten. Zeigen darf er seine Kunst nur im Ausland.

Auch die Arbeiten, die in Berlin zu sehen sind, tragen naturgemäß eine kritische politische Botschaft in sich. Auch deshalb stehen die Ausstellungsmacher vor einer logistischen Herausforderung. Die rund 30 teils extra angefertigten Arbeiten nach Berlin zu schaffen, bedurfte es eines speziellen Systems. Denn Ai Weiwei wird nach wie vor bewacht, sein Haus ist von Dutzenden Kameras umringt, sein Telefon wird abgehört. Immer wieder erinnern Filmszenen, in denen Ai Weiwei seine eigene Gefangenschaft minutiös genau nachstellte und abfilmte, an die prekäre Lage des Künstlers.

Die Fenster des Martin-Gropius-Baus müssen die teilweise extrem ausladenden Objekte aufnehmen. Sein Assistent Gui Nuo kommt zu Wort, der von „Meister Ai“ wie von einer spirituellen Instanz spricht. Die Bilder zeigen auch die Freundschaft, die Ai Weiwei seit dem gemeinsamen Projekt „Moon“ mit dem in Berlin lebenden Künstler Olafur Eliasson verbindet. Es sind Momente des Friedens. Rar im Leben des Ai Weiwei.

Die „Great Fire Wall“ im Internet verhindere bis heute, dass das Volk seine Gefühle ausdrücke, eine eigene Meinung äußere, so der Künstler. Darunter ist ein bis heute ungelöstes Drama. Das Erdbeben von Sichuan vom 12. Mai 2008 begrub Hunderttausende unter sich, darunter 5000 Schüler. Bis heute wehren sich die chinesischen Behörden gegen Untersuchungen, die auf ihr Versagen und auf Korruption bei dem Bauprojekt verweisen. Auch daraus macht Ai Weiwei Kunst – montiert für die Berliner Schau verbeulte Stahlträger aus der Region in der Bodenskulptur „Forge“ zu einem Mahnmal des Schreckens. Aus Fahrrädern errichtet er einen Turm. 3500 handgefertigte Porzellankrabben ironisieren den von der Parteipropaganda benutzten Begriff der „Harmonie“. 6000 Holzschemel, die bis in die Ming- und Qing-Dynastie zurückreichen, dokumentieren die Landflucht der Bewohner. Menschen einer Gesellschaft, in der das Individuum nicht viel zählt und die sich umso mehr gegen unbequeme Außenseiter zur Wehr setzt.

Ai Weiwei hat schon als Kind das Außenseiterdasein kennengelernt. Als Sohn des regimekritischen Dichters Ai Qing (1910–1996) wuchs er in Verbannung und Armut auf. 1978 gelang es ihm, ein Filmstudium in Peking aufzunehmen. 1979 gründete er die oppositionelle Künstlergruppe „Stars“. Von 1981 bis 1993 lebte er in den USA, entdeckte die Kunst eines Andy Warhol und eines Marcel Duchamp für sich. Er mag aussehen wie ein gemütlicher Mittfünfziger, der am liebsten mit seinen Katzen schmust, aber bis heute ist der Kampfgeist des Ai Weiwei ungebrochen. Vielleicht erhält er seinen Pass ja doch noch rechtzeitig zurück.

„Ai Weiwei – Evidence“ Mi 2.4., 21.35, Arte