Ein Paar reiste jahrelang immer wieder durch kleine Orte mit großen Namen. Daraus entstand ein skurriler Reiseführer durch die deutsche Provinz.

Sie sind jung, sie sind ein Paar und haben ziemlich wenig Geld. Aber sie haben lauter lustige, spannende, außergewöhnliche Ideen, von denen sie hundertprozentig überzeugt sind. Sie heißen Beate Brosche und Michael Orthwein. Beate, Jahrgang 1964, arbeitet seit 1992 als freie Fotografin, Michael, 1965 im polnischen Danzig geboren, hat visuelle Kommunikation studiert und ist als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaft und Film Braunschweig tätig.

Große Sprünge? Fehlanzeige, aber kreative Menschen kennen ja keine Grenzen. Bloß diejenigen, die ihnen das eigene Portemonnaie vorsetzt, und das kann schon mal fatal werden: wenn man zum Beispiel einen gemeinsamen Urlaub plant. Keine Südsee, kein Italien, kein Mallorca ist in Reichweite, aber macht ja nichts. Deshalb setzen sich damals, im Jahre 1999, Beate und Michael in einen altersschwachen Golf und beginnen eine eher ziellose Deutschlandreise. Mit Kleppermantel, Golf und Zelt fährst du durch die ganze Welt. Schon sind sie in Kalifornien, kurz darauf passieren sie die Grenze zu Sibirien, Sibirien bei Pinneberg. Plötzlich fällt ihnen auf, dass in Deutschland offensichtlich nicht wenige solcher winziger Ortschaften existieren, die ziemlich komische Namen tragen, wie „Berlin“, „Katzenhirn“, „Kotzen“, „Wassersuppe“ oder „Kummer“, um nur einige zu nennen. Ortschaften also, die in der Regel nur aus wenigen Häusern bestehen, wo die Hunde mit dem Schwanz bellen und die Menschen vor den Hühnern ins Bett gehen. Orte, in denen man für gewöhnlich nicht mal tot über dem Gartenzaun hängen mochte. Ortschaften jedoch, deren Ortsschild bereits ein Hingucker ist.

Urdeutsche Themen hatten die mit einem Preis des Art Directors Clubs ausgezeichnete Fotografin schon immer fasziniert, am liebsten jene, die ganz unten spielen und einen ungewöhnlichen Blick ermöglichen. So kommt die Geschichte ins Rollen: Aus einem Zufallsbesuch entsteht eine Idee, die sich binnen weniger Tage – dank einer aussagekräftigen Deutschlandkarte – rasch zu einer Passion entwickelt. Aus der exakt 15 Jahre später, nach zahlreichen weiteren Streifzügen in die tiefste Provinz, ein skurril anmutender Bildband entsteht. „Karl, Marx und Moritz“ heißt er, und er ist komplett selbst gemacht. Sie fotografieren am 11. August 1999 die Sonnenfinsternis in „Katzenhirn“, später dann einen Feuermelder in „Rom“ neben der Ankündigung des Osterfeuers und schwelgen im „Getränkehimmel“ von „Wassersuppe“. Sie finden heraus, wie reich dieses Land doch ist. Steinreich, denn sie entdecken Findlinge an fast jedem Ort.

Auf einmal interessieren sich Verlage für diese besondere Fotoreportage, die ja irgendwie auch ein Zeitzeugnis ist. „Aber wir wurden seitens der Verlage mit zahlreichen Vorhaltungen, Vorgaben, Änderungswünschen – ja, ausgeübten Zwängen – konfrontiert“, sagt Michael, der mittlerweile, seit 2007, eine Professur für Computeranimation an der Hochschule Mainz bekleidet. „Also haben wir alles selbst gemacht, auch den Vertrieb über die ‚On Demand‘-Plattform bei amazon.“ Trotz oder gerade wegen einiger technischer Einschränkungen sei das eine sehr, sehr interessante Erfahrung.

Rund 11.200 Ortschaften existieren in Deutschland. Nicht alle sind selbstverständlich so klein und so bedeutend unbedeutend. Deshalb steht bald der nächste Ausflug an: „Wir wollen unbedingt die deutschen ‚Troja‘ und ‚Bethlehem‘ besuchen“, sagte Beate Brosche, „und dann natürlich ‚Lederhose‘ in Thüringen!“

Orthwein/Brosche: Karl, Marx und Moritz – Unbedeutende Orte mit skurrilen Namen in der deutschen Provinz; 218 Seiten. Nur über amazon.de , 18 Euro