Das ZDF-Drama „Kein Entkommen“ mit Anja Kling und Benno Fürmann in den Hauptrollen hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck

Das Familienidyll, es währt nur kurz. Nach dem Hockeymatch will Anna (Anja Kling) noch ein wenig mit ihren Freundinnen zusammensitzen, ihr Mann Micha (Benno Fürmann) verabschiedet sich gut gelaunt und fährt mit den Kindern nach Hause. Doch der Tag endet auf der Intensivstation. Anja ist von drei Jugendlichen beinahe totgeprügelt worden – ohne Anlass, ohne Gnade, ohne Chance auf Verteidigung.

Diesen Einbruch der Gewalt in die gutbürgerliche Normalität des Berliner Vorstadtlebens dokumentiert Regisseur Andreas Senn in eindringlichen Bildern. Das Gefühl der Machtlosigkeit, der Angst, des Zorns, es wird durch die Rückblende, in der sich Anja vor dem Spiegel ihres Krankenzimmers stehend an ihre Peiniger erinnert, greifbar, die Unausweichlichkeit dessen, was kommen wird, ist beängstigend.

Nach der Tat ist nichts mehr so wie vorher. Die Angebote Michas, ihr den Übergang in den Alltag einfacher zu gestalten, lehnt Anna brüsk ab, sie will sich und ihrem Umfeld nicht eingestehen, dass der Überfall sie in ihrem Innersten erschüttert hat. Aus kleinen Lügen – „Ich habe keine Schmerzen“ – werden größere. Der fünfjährigen Tochter Lina (Anna Leena Duch) und dem Teenie-Sohn Jan (Matti Schmidt-Schaller) hat das Ehepaar weisgemacht, der Grund für die Verletzungen sei ein Unfall gewesen.

Und vor Gericht, beim Zusammentreffen mit den Tätern, behauptet Anna, sich an nichts erinnern zu können. Den Rat des Arztes, der die Traumatisierte zu einer Therapie bewegen will, schlägt sie aus: „Ich glaube einfach, dass Sie nicht der richtige Arzt für mich sind.“ Und als sie dann doch bei einer Psychologin sitzt, macht Anna dicht, als diese feststellt, es sei „keine Schande, sich hilflos zu fühlen“.

„Kein Entkommen“ konzentriert sich ganz auf die Perspektive des Opfers, dessen Welt von einem Augenblick zum nächsten aus den Fugen gerät. Anja Kling spielt die zwischen Angstzuständen, Hass auf die Täter und totaler Hilflosigkeit schwankende Frau mit viel Hingabe und so überzeugend, dass man besonders in der ersten Hälfte des Films mit ihr leidet. Und Benno Fürmann als überforderter Ehemann, dessen erfolglose Versuche, seiner geliebten Frau die Rückkehr in die Normalität zu ermöglichen, ihn erst ratlos dann wütend machen, brilliert auf eine zurückhaltende Art ebenfalls.

Während sich Anna immer weiter von Familie und Freunden zurückzieht, während sie Pläne schmiedet, den lediglich zu Sozialstunden verurteilten Täter Marco (Julius Nitschkoff) mithilfe von dessen Freundin Chrissi (Ruby O. Fee) doch noch ins Gefängnis zu bringen, gärt es in ihrem Sohn, der inzwischen herausbekommen hat, was tatsächlich passiert ist.

Chrissis Verhalten wird auch für Jan zum Ausgangspunkt einer Reise in die Welt der Sozialwohnungen und des Faustrechts. Die Darstellung der gesellschaftlichen Unterschiede gerät dabei teilweise arg plakativ: Wenn sich Mutter oder Sohn aus dem Vorort ins „Getto“ wagen, ziehen sie sich einen Kapuzenpulli über. Der Hoodie als Uniform des Proletariats, mit dem man sich unerkannt noch in den übelsten Ecken herumdrücken kann, das wirkt albern.

Zum Ende hin ist „Kein Entkommen“ kein überzeugendes Drama mehr. Dass sich in 90 Minuten die Leidensgeschichte nicht glaubwürdig auflösen lässt, dass ein Happy End dem Thema Jugendgewalt, dem das ZDF im Anschluss noch eine Talkrunde bei „Maybrit Illner“ (mit Renate Künast, einem Jugendrichter und Angehörigen von Opfern), widmet, nicht angemessen wäre, liegt auf der Hand.

Aber die Art des gefühlt kathartischen Moments, des (Anti-)Klimax, auf den die Handlung zusteuert und der in weich gezeichneten Bildern eine mögliche langsame Rückkehr des Opfers in seine Familie verheißt, ist mehr als problematisch. Denn das Ende von „Kein Entkommen“ ist einerseits offen, andererseits von einer weiteren Eskalation überschattet, die die Zukunft in noch düstererem Licht erscheinen lässt. Selbstjustiz wird – zumindest auf den ersten Blick – zum legitimen Mittel der Konfliktlösung. Und auch, wenn man es als Ausdruck einer Warnung davor, dass Gewalt immer nur noch mehr Gewalt erzeugt, auffasst, irritiert diese Form des Abschlusses nachhaltig.

So sehr die Drehbuchautoren Stefanie Veith und Matthias Tuchmann den Zuschauer den ganzen Film über an die Hand nehmen, um das schwere Trauma greifbar zu machen, unter dem Anna leidet und das auch ihr Umfeld nachhaltig beeinflusst, so sehr lassen sie ihn am Ende im Stich. Das mag als Kunstgriff gedacht sein, um die Schwierigkeit des Umgangs mit Gewalttaten zu illustrieren: Ein seltsam schales Gefühl bleibt dennoch.

„Kein Entkommen“ Mo 20.15 Uhr, ZDF „Maybrit Illner: Gebrochene Opfer, kaputte Täter“ Mo 21.45 Uhr, ZDF