Er war der „deutsche Elvis“, der Mädchenschwarm der 50er- und der Schwiegermutter-Traum der 60er-Jahre. An diesem Dienstag wird Peter Kraus 75 Jahre alt. Im Herbst geht der Musiker auf seine letzte Tournee

Als „deutscher Elvis“ hat Peter Kraus dem Wirtschaftswunderdeutschland (Hüft-)Schwung verliehen. Hits wie „Sugar Baby“, „Kitty Kat“, „Alle Mädchen wollen küssen“ und „Sweety“ waren Einladungen, der Tristesse der Nachkriegszeit zu entfliehen, zu träumen und zu feiern. Und Kraus, der schlaksige Junge mit der Haartolle, wurde zum Symbol eines Lebensgefühls, das Aufbruch und ein wenig Abenteuer bedeutete. Seine erste große Filmrolle hatte er vor 60 Jahren als Schüler Johnny in „Das fliegende Klassenzimmer“. Der gebürtige Münchner und seine Kollegin Conny Froboess wurden in den Schlagerfilmen der späten 50er- und frühen 60er-Jahre zum Traumpaar der jungen Bundesrepublik. Seit 45 Jahren ist er mit seiner Frau Ingrid verheiratet. Kraus ist einer, der von Film und Fernsehshows über Musicals bis hin zu Malerei viele Bereiche begeistert ausprobiert hat. Dem Rock’n’Roll ist er bis heute treu geblieben. Zu hören ist das auf seiner neuen Platte „Zeitensprung“, die am Freitag erscheint, sowie auf seiner Abschiedstour diesen Herbst, auf der der Entertainer auch nach Hamburg kommt.

Das Abendblatt sprach mit Peter Kraus anlässlich seines 75. Geburtstags, den er diesen Dienstag feiert. Zum Interview im Hotel Atlantic trägt er eine braune Lederjacke zum beigen Rollkragenpulli. Betont jugendlich hockt er im Sessel, das rechte Bein über die Lehne gehängt, den rechten Arm lässig darauf abgestützt. Er ist charmant, ohne zu dick aufzutragen. Deutlich ist ihm anzuhören, dass er Teile seiner Jugend in Wien und Salzburg verbracht hat. Offen und auch nachdenklich erzählt er, warum er Elvis nie kennengelernt hat, was Mädchen ihm schrieben, warum er Udo Lindenberg bewundert, wodurch sich Idole damals und heute unterscheiden, was ihn in seiner Karriere geärgert hat und was er jungen Musikern rät.

Hamburger Abendblatt: Auf Ihrer aktuellen Platte „Zeitensprung“ kleiden Sie Songs von Fettes Brot über Tim Bendzko und Wolfgang Petry bis zu Rosenstolz in ein Rock-’n’-Roll-Gewand. Was fasziniert Sie an den Musikern, zum Beispiel – da wir gerade im Hotel Atlantic sitzen – an Udo Lindenberg, von dem Sie „Ein Herz kann man nicht reparieren“ singen?
Peter Kraus: Es war mein persönlicher Wunsch, mich vor ein paar Leuten zu verbeugen, die ich schätze. Udo hat in der Rockmusik das bravourös vollzogen, was ich mit dem Rock’n’Roll gemacht habe seinerzeit. Er hat versucht, einen Trend, der aus dem Ausland kommt, mit der deutschen Sprache ins Leben zu rufen. Als der Rock’n’Roll kam, hat es viele Bands gegeben, die auf Englisch gesungen haben. Die Schwierigkeit war jedoch, das auf Deutsch umzusetzen. Wir haben auch erst ab dem Zeitpunkt viele Schallplatten verkauft, als wir das Rezept gefunden hatten, wie der Rock’n’Roll in unserer Mentalität funktioniert. So hat Udo das auch gemacht. Abgesehen davon liebe ich Leute, die großartige Comebacks feiern. Weil ich weiß, wie viel Arbeit in der Zeit steckt, wo es nicht so funktioniert, in dem Nachdenken und Experimentieren. Es ist schwer, sich interessant zu halten. Darin ist Udo einer der Meister.

Was macht das Lebensgefühl Rock’n’Roll für Sie denn bis heute aus?
Kraus: Rock’n’Roll bedeutete für mich damals, den gleichaltrigen jungen Leuten zu sagen: Horcht auf euch selber, akzeptiert das, was die Eltern sagen, aber richtet euch nicht unbedingt danach. Das war in einer Zeit, in der die Bevormundung durch die Eltern sehr groß war. Die Kids durften damals wirklich nichts. Und was sie machten, war heimlich. Schrecklich. Für mich ist heute Rock’n’Roll, dass ich mir treu geblieben bin, dass ich nicht direkt mitmachen muss, wenn sich andere tätowieren oder ’ne Glatze schneiden lassen.

Was hat das in Ihnen ausgelöst, als Sie das erste Mal Rock’n’Roll gehört haben?
Kraus: Durch meinen Vater war ich ein Fan von Musikfilmen. Mit Fred Astaire, Gene Kelly. Es war mein Ziel, eine tänzerische, schauspielerische und gesangliche Ausbildung zu machen. Eigentlich wollte ich zum Musical. Ich hatte aber auch Freunde beim amerikanischen Sender AFN, wo ich mir immer Musik anhören durfte, die sie mir auf Tonband überspielt haben. Die kamen mit so Rock-’n’-Roll-Sachen. Das hat mich begeistert, weil ich das Gefühl hatte: Aha, da machen welche relativ simple Musik mit drei Akkorden für uns. Für die Jugend von Jugendlichen. Dann kam die Idee: Das möchte ich weitergeben.

Sie wurden schon sehr früh in Ihrer Karriere als „der deutsche Elvis“ bezeichnet. Haben Sie den King eigentlich jemals kennengelernt?
Kraus: Nee, leider nie. Der Beiname „deutscher Elvis“ war natürlich am Anfang sehr hilfreich. Wobei Elvis ja nicht als Wunder bezeichnet wurde damals. Man hatte den ja auch ziemlich niedergemacht. Ich weiß noch, der „Spiegel“ hat geschrieben, da wackelt einer mit den Hüften, der nicht singen kann und von Gitarre spielen keine Ahnung hat. Das war ja nicht positiv. Das war ja eher ein Schreckgespenst. Einer, der mit unmoralischen Bewegungen auf der Bühne steht. Was man ja heute nicht bedenkt: Wir haben Elvis damals nicht gesehen. Wir konnten den nicht im Fernsehen anschauen. Ich hatte schon lange meine eigene Karriere, da hab ich den endlich mal in einem Kinofilm gesehen. Ich stand anfangs wirklich vorm Spiegel und habe mich gefragt: Was könnte das sein, was Elvis da macht? Kennengelernt habe ich ihn deshalb nicht, weil das Management und die Plattenfirma dagegengeredet haben, so ein übliches Handshake-Foto zu machen, als Elvis nach Deutschland kam. Sie sagten: Im Vergleich ziehst du den Kürzeren.

Sie sind sehr früh populär geworden. Haben Sie sich jemals gewünscht, ein wenig mehr Jugend gehabt zu haben?
Kraus: Eigentlich nicht. Ich war vielleicht hier und da mal neidisch auf meine Freunde, die noch in die Schule gegangen sind, die sich das Leben sehr locker gemacht haben und mehr auf dem Tennis- oder Fußballplatz waren. Aber ich hab mich getröstet damit, dass ich die hübscheren Mädels hatte. (lacht)

Gerade bei weiblichen Fans hat die Begeisterung für Sie teils hysterische Ausmaße angenommen. Kam Ihnen diese Anhimmelei nicht irgendwann wahllos vor?
Kraus: Ich glaube, heute gibt es keine Idole mehr, so, wie wir das früher sein durften. Heute spielen die Idole ihren Fans etwas vor, sie lassen sie in eine andere Welt eintauchen. Das war damals nicht der Fall. Ich musste einer von denen sein. Ich musste der sein, der auch 17 ist. Derjenige, der Glück hatte. Den sie bewundern, weil der das kann, was er tut. Aber ich durfte nicht der Durchgedrehte sein. Elvis ist auf die Schnauze gefallen, als er anfing, seine Gitarre in einem zweiten Cadillac befördern zu lassen. Da haben sie gesagt: Jetzt spinnt der. Heute würde man sagen: super Gag. Das ist der Unterschied. Heute wartest du einfach darauf, dass die Lady Gaga etwas Wahnsinniges macht. Damals musstest du einer sein, den man anfassen kann. Dem man sein Herz ausschütten kann in einem Brief. Auch wenn der nicht von mir beantwortet wurde, sondern von Sekretärinnen.

In Ihrem neuen Song „Sag zum Abschied rockig Servus“ singen Sie, dass Sie „den Weltschmerz weggerockt“ haben. Wie zeigte sich das im Alltag der Teenager?
Kraus: Ich erzähle immer gerne diese Geschichten, die junge Leute heute überhaupt nicht mehr glauben können. Zum Beispiel dieser eine Brief: Wir sind fünf Freundinnen, aber nur eine von uns hat vernünftige Eltern, bei denen wir die Platte von dir anhören können. Oder solche Geschichten, dass die Mädels bestimmte Oberteile nicht zu Hause tragen durften. Die haben die irgendwo versteckt und sich dann umgezogen. Oder Jungs, die mit der Brillantine-Frisur nicht nach Hause durften.

Was würden Sie Jugendlichen, die eine Musikkarriere anstreben, heute raten?
Kraus: Das ist wahnsinnig schwer. Die glücklichste Karriere ist die, in der du das machst, was du wirklich willst. Aus dem Bauch heraus. Ohne Bevormundung von irgendwelchen Produzenten und Fernsehanstalten und Plattenfirmen. Und wenn du das Glück hast, dass du es im richtigen Moment machst, weil es die Leute jetzt mögen. Das wäre ideal. Die nächste Form, die schon komplizierter ist und die meiner Meinung nach auch eine ganz andere Berufssparte ist: Hits zu konstruieren. Eine Musik zu machen aufgrund dessen, was gerade in ist. Was auch bewundernswert ist. Wo man sehr viel verstehen muss. Dieter Bohlen ist so ein Typ. Aber was rät man jungen Menschen? Letztlich sollen sie einfach Musik machen und mit einer Band in ihrem Stadtteil live spielen, bis es entweder passiert oder nicht. Castingshows, die sind so programmiert, dass du da zum Sterben verurteilt bist. Prinzipiell würde ich sagen: Bei der eigenen Musik bleiben und nebenbei einen Beruf ausüben. Mein Sohn etwa. Der macht ja auch leidenschaftlich Musik, aber er stürmt damit nicht die Hitparaden. Also spielt er seinen 80er-Rock als Hobby. Das macht ihm Spaß.

Sie selbst singen aktuell den Vers „Ich bin ziemlich hoch geflogen/hab mich trotzdem nie verbogen.“ Gab es Momente, in denen Sie an Ihren Wegen gezweifelt haben? Sie haben ja von Musik und Schauspiel über Drehbuchschreiben bis hin zum Fernsehen sehr unterschiedliche Dinge vausprobiert.Kraus: Es ist weltweit schwer, in mehreren Sparten erfolgreich zu sein. Und in Deutschland speziell. Dafür sind wir irgendwie zu gewissenhaft. Das hat mich schon in jungen Jahren gestört. Bis auf die ersten Filme habe ich immer denselben Typen gespielt. Das hat mich schon geärgert, dass Leute wie Alain Delon eine Komödie gespielt haben und danach einen Mörder. Aber ansonsten bin ich immer ganz gut gefahren. Ich habe mir nie eine große Auszeit genommen, auch wenn ich das vom Finanziellen her jederzeit gekonnt hätte. Da ist diese Furcht, jetzt könntest du weg sein vom Fenster. Dieses Nachgrübeln, was mache ich jetzt, was interessiert mich noch, wie komme ich in diese Sparte hinein, ins Regieführen zum Beispiel, das nimmt unheimlich viel Zeit weg. Das gehört alles dazu. Das ist schön.

Wie feiern Sie Ihren 75. Geburtstag?
Kraus: In der Früh werde ich im „Morgenmagazin“ im Fernsehen „Lila Wolken“ singen, ein Song von Marteria. Und dann fliegen wir nach München. Am Abend treffen wir uns beim Schuhbeck. Wir haben ein paar Leute eingeladen. Unter anderem die Conny Froboess, die hat zum Glück Zeit. Sie spielt ja gerade viel Theater. Dann werden wir ein bisschen plaudern.

Im Herbst geht’s auf Abschiedstour. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Kraus: Ich mache ein ganz neues Programm und nehme einen Chor dazu. Mit meiner momentanen Liste würde der Abend vier Stunden dauern. Jetzt muss ich das mit meinem Musical Director zusammenstreichen. Ich möchte nur Hits spielen und so die besten, interessanten Sachen aus den 50er- und 60er-Jahren herausholen. Von Peter Alexander über Louis Armstrong bis Charles Aznavour. Die Leute sollen sich erinnern und Freude haben.

Wenn Sie auf Tour sind, haben Sie da ganz bestimmte Abläufe?
Kraus: Die Musiker ziehen sich alle im letzten Moment um und stürzen auf die Bühne. Ich bin einer, der aus früherer Zeit geprägt ist und um Viertel vor acht schon fix und fertig dasteht. Aus Vorsicht, falls man sich im Reißverschluss auf der Toilette noch den Hemdzipfel einzwickt oder ein Knopf wegspringt. Ich gehe hinter der Bühne im Finsteren auf und ab und bau mich a bisserl auf.

Im Kino waren Sie zuletzt in der Komödie „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“ zu sehen. In dem Film spielen Sie einen Ex-Schlagerstar, der Särge auf Bequemlichkeit testet. Eine drastische Art, sich mit dem Alter zu beschäftigen. Wie ist da Ihre persönliche Herangehensweise?
Kraus: Anders. Das würde der Peter Kraus nie tun.

Sind Sie selbst zu lebensfroh, um sich mit dem Tod zu befassen?
Kraus: Ich bin auch zu ängstlich, um mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Ich gehe dem lieber aus dem Weg.

Viele Weggefährten von Ihnen wie etwa Klaus Löwitsch und Wera Frydtberg, mit denen Sie 1958 in dem Film „Der Pauker“ gespielt haben, leben nicht mehr. Wächst da die Demut und die Dankbarkeit, nach wie vor auf der Bühne stehen, Filme drehen und Musik machen zu können?
Kraus: Ja, da liegen Sie richtig.

Peter Kraus live So 5.10., 19.00, CCH Saal 1 (S Dammtor), Am Dammtor/Marseiller Straße; Tickets ab 48,90 im Vvk.; www.peterkraus.de