Tolle Shows mit schrägen Tönen: Zentralrat der Juden lädt ein Wochenende lang zur Jewrovision unter dem Motto „Bar Mitzwah“ in Hamburg

Hamburg. Nahezu 1000 evangelisch bewegte Jugendliche aus 18 deutschen Jugendzentren mieten für einen Abend den Saal 3 des CCH, um untereinander auszumachen, wer von ihnen die coolste, die geilste Musik- und Tanzperformance zum Thema Konfirmation hinlegt. Jede der Gruppen feilt monatelang an ihrer Show. Sie soll bombastisch und glitzernd werden, als gelte es, damit den Sieg beim Eurovision Song Contest davonzutragen. Trotzdem, das hat man sich vorher hoch und heilig versprochen, darf die christliche Botschaft dabei nicht unter den Hammer des Disco-Beats kommen.

Dass Konfirmanden sich zu solchem Wettstreit bereitfänden, kann man sich nur schwer vorstellen. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland aber taten im Saal 3 des CCH am Sonnabend genau das: Sie rockten ihr Äquivalent zur Konfirmation, die Bar Mitzwah – ihr Initiationsritual für Jungen.

Dafür die Showbühne anstelle der Synagoge zu wählen, war kein Sakrileg. Denn was hier unter dem massiven Gejohle der Teilnehmer und ihrer Freunde aus 25 Städten gefeiert wurde, war ja nicht die Religionsreife eines einzelnen Jungen, sondern die Bar Mitzwah einer zur Wirklichkeit gewordenen Idee. Im fröhlich-unbekümmerten Bemühen um eine Synthese aus Jüdischkeit und dem Eurovision Song Contest war sie im Jahr 2002 auf den Namen Jewrovision getauft worden.

Damals fand im Theatersaal des Max-Willner-Heims in Bad Sobernheim in Rheinland-Pfalz die erste Veranstaltung dieser Art statt, mit 120 Teilnehmern aus sechs jüdischen Jugendzentren. Inzwischen, sagt der Zentralrat der Juden, der neuerdings die Organisation der Jewrovision übernommen hat, ist daraus die größte jüdische Tanz- und Musikveranstaltung im Jugendbereich in ganz Europa geworden. Und weil sie in diesem Jahr zum 13. Mal stattfand, wurde die Jewrovision in Hamburg unter das Motto „Bar Mitzwah“ gestellt.

Bar Mitzwah wird jeder männliche Jude mit Vollendung seines 13. Lebensjahrs (Mädchen erreichen ihre Religionsreife, die Bar Mitzwah, bereits mit zwölf Jahren). An diesem Tag wird aus dem Buben ein „Sohn der Pflicht“. Zur Vorbereitung darauf hat er, wie der Konfirmand in der Bibel, eine gewisse Festigkeit in der Thora erlangt.

Beim ersten Sabbat, der auf seinen 13. Geburtstag folgt, muss er vor der Gemeinde einen Abschnitt aus der Tora lesen und sich dafür heftig mit Bonbons bewerfen lassen. Er bekommt die Kippa aufgesetzt und ein besticktes Tuch umgehängt, das seine Aufnahme in den Kreis der Männer symbolisiert. Später dann wird gefeiert, rauschend, mit Tanz, Familie, Freunden und reichlich Essen.

Es war durchaus hinreißend zu sehen, mit wie viel Fantasie, Ernsthaftigkeit und Witz die Jungen und Mädchen aus den Jugendzentren einzelne Elemente der Bar Mitzwah in ihre Show-Beiträge einbauten. Sie arbeiteten sich in erster Linie am Ritual selbst ab und sorgten zugleich dafür, dass sich möglichst an allen Fronten Glitzer auf Mitzwah reimte. In ihren überwiegend deutschen Songtexten auf Charts-Pop von Rihanna über Lady Gaga bis Bruno Mars beschworen sie den Wert der Tradition und der Gemeinschaft. Amichai aus Frankfurt nahmen sich sogar die „Bohemian Rhapsody“ von Queen zur Vorlage. Manche spielten zu Livemusik, die meisten jedoch zum Playback.

Die Haare raufen müssen sich allerdings die Kantoren der jüdischen Gemeinden von Oldenburg bis Emmendingen, von Bremen bis Wuppertal. Der Gesang fast aller Beteiligten lag in der Regel so unfassbar gründlich neben den wohl eigentlich gemeinten Tönen, dass man ungeachtet aller Bewunderung für die hübschen Bühnenbildideen, das bunte Licht und die Kostüme beim Zuhören wiederholt Zahnschmerzen bekam.

Durchaus Optimierungspotenzial besitzt die Jewrovison auch hinsichtlich des Respekts der Teilnehmer vor den Leistungen der Rivalen. Je weiter der lange Abend auf die Mitternacht zuschritt, desto intensiver beschäftigten sich die Fanclubs im Saal mit der Feier ihrer selbst. Manche Performer bekamen nicht einmal mehr Applaus. Das gab einen unangenehmen Beigeschmack, umso mehr, als dem Abend eine Mini-Machane vorausgegangen war, bei der schon ausgiebig Gelegenheit bestanden haben dürfte, sich kennen- und schätzen zu lernen. Davon aber war wenig zu spüren. Auch die kumpelhaft auftretende Moderatorin Susan Sideropoulos brachte nur mit Mühe Ruhe in den Saal.

Jedes Jugendzentrum hatte noch eine zweite Aufgabe: in einem Film sich selbst und/oder das Thema Bar Mitzwah vorzustellen. Der selbstironische Kurzfilm der Frankfurter gewann zu Recht den Preis der dreiköpfigen Jury, zu der auch der Pate des echten Eurovision Song Contests Peter Urban gehörte. Den Sieg für die beste Live-Darbietung machten die beiden wiederholten Gewinner früherer Jewrovisions unter sich aus, Jachad aus Köln und Olam aus Berlin. Die Gastgeber Chasak aus Hamburg, die erstmals auf einer Jewrovision antraten, landeten auf Platz drei – mit der nicht nur aus lokalpatriotischer Perspektive musikalisch besten und szenisch witzigsten Performance des Abends.