Die Picasso-Ausstellung der Kunsthalle Bremen hat das Zeug zum Kassenschlager

Bremen. Man nehme ein bedeutendes Werk aus der eigenen Sammlung zum Aufhänger für eine ganz große Kunstgeschichte mit hochkarätigen Leihgaben – mit diesem Rezept feiert die Kunsthalle Bremen regelmäßig große Ausstellungserfolge. Und wenn nicht alles täuscht, wird die Rechnung auch jetzt wieder aufgehen. Diesmal geht es um einen alternden Maler und sein unschuldiges Modell, einen genialen Künstler und ein Mädchen, 19, von atemberaubender Schönheit. „Sylvette. Sylvette. Sylvette. Picasso und das Modell“ heißt der neue Bremer Blockbuster, der eine berühmte Porträt-Serie zum Thema macht, die Picasso innerhalb weniger Monate schuf. Im Frühjahr 1954 begegnete er im südfranzösischen Vallauris Sylvette David. Die hochgewachsene Frau, die das blonde Haar zum Pferdeschwanz gebunden hatte, faszinierte Picasso. Als sie sich bereit erklärte, sein Modell zu werden, inspirierte sie ihn zu einer Serie, die innerhalb seines Œuvres schon deshalb eine besondere Stellung einnimmt, weil er die markante Erscheinung der jungen Frau noch einmal zum Ausgangspunkt eines experimentellen Umgangs sowohl mit unterschiedlichen Technikern als auch mit jenen Stilrichtungen machte, mit denen er sich schon in den Jahrzehnten zuvor beschäftigt hatte.

Die Ausstellung stellt die Sylvette-Serie in biografische und werkgeschichtliche Zusammenhänge, zwischen Françoise Gilot und Jacqueline Roque, getreu der Beobachtung von Dora Maar, dass der Wechsel der Liebhaberinnen bei Picasso stets einen umfassenden Wandel zur Folge hatte: „Sein Stil, seine Häuser, seine Lieblingsdichter, sein Hund – all das änderte sich mit.“ Maar sprach aus Erfahrung.

Aber Sylvette war ein Sonderfall, denn sie wurde zwar Modell und Muse, nicht aber Geliebte. Mit Pinsel und Zeichenstift schuf Picasso realistische und äußerst reduzierte, fast stilisierte Porträts, aber auch kubistisch-zergliederte Darstellungen, für die er meist Grisailletöne wählte. Die Sylvette-Serie, in der die markante Gestalt des jungen Mädchens fast nie frontal, sondern beinahe immer im Profil zu sehen ist, bietet eine ganze Stilkunde – bis hin zu jenen bemalten Faltplastiken aus Metall, mit denen Picasso erstmals wieder skulpturale Arbeiten schuf. Sie bildeten den Auftakt zu einer Werkgruppe, die er schließlich mit Motiven von Jacqueline Roque fortsetzte, seiner letzten Geliebten, Ehefrau und Muse.

Die Sylvette-Serie machte früh Furore. Kurz nach ihrem Entstehen war sie in Paris zu sehen. Schon 1955 kaufte die Bremer Kunsthalle ein zentrales Werk, das Begeisterung auslöste und vom Kunstkritiker des „Weserkuriers“ als „eine Symphonie in Grau“ bejubelt wurde. Auch in der legendären Hamburger Picasso-Ausstellung, die die Kunsthalle 1956 zeigte, fand das Bremer Sylvette-Bild große Zustimmung. Später wurde die ganze Serie von Kunsthistorikern jedoch eher negativ bewertet, mit der heute etwas merkwürdig anmutenden Begründung, da die junge Frau nicht zugleich Picassos Geliebte gewesen sei, fehle es den Bildern an emotionaler Tiefe und Ausdruckskraft.

Die Kunsthalle widmet der Serie erstmals seit ihrem Entstehen eine eigene Ausstellung, thematisiert darüber hinaus aber grundsätzlich das komplexe Verhältnis von Maler und Modell. Zu sehen sind etwa 140 Picasso-Arbeiten, die aus Museen in Europa, den USA, aus Israel und Japan, zum größeren Teil aber aus mitunter schwer zugänglichen Privatsammlungen stammen, weshalb einige der Werke überhaupt zum ersten Mal öffentlich zu sehen sind.

Sylvette. Sylvette. Sylvette. Picasso und das Modell. Kunsthalle Bremen. Am Wall 207, 28195 Bremen. Bis 22.6., Di 10–21 Uhr. Mi–So 10–18 Uhr. Infos www.kunsthalle-bremen.de