NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock leitet im September „Das Dvorak-Experiment“, ein bundesweites Musikvermittlungsprojekt für Schüler

Berlin. Wenn alles gut geht, wenn genügend Schüler und Lehrer, Schulen und Orchester in ganz Deutschland mitspielen, wie vom federführenden NDR geplant und erhofft, dann wird es zukünftig einmal jährlich zu einer konzertierten Aktion der deutschen Rundfunkorchester kommen. Sie soll klassische Musik populärer unter Kindern und Jugendlichen machen und dabei alle Mittel moderner Kommunikationstechnik einsetzen, um ihr ehrgeiziges Ziel zu erreichen.

Der Auftakt dazu passiert am 19. September im Hamburger Rolf-Liebermann-Studio. Beim „Dvorak-Experiment“, das bundesweit übertragen wird, dirigiert NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock dessen 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, er wird neben seiner Pultarbeit vor laufenden Kameras moderieren und bei Live-Schaltungen in Schulen Gespräche führen. Mehr multimedial geht kaum.

Mit im Boot ist auch der Deutsche Musikrat (DMR), eine umfangreiche Werbekampagne soll dafür sorgen, dass dieses Experiment zur jährlichen Pflichtaufgabe wird. Zielgruppe sind die Klassen 5 bis 12. „Es ist fünf vor zwölf für das Thema der musikalischen Bildung in Deutschland“, warnte DMR-Generalsekretär Christian Höppner. Hengelbrock sekundierte gestern bei einer ARD-Pressekonferenz in Berlin: „Das Schulfach Musik hat einen lausigen Stellenwert.“

Dass derzeit – trotz des demonstrativen Willens zur ARD-Harmonie bei diesem Projekt – im Südwesten Deutschlands Fusionspläne für die beiden SWR-Orchester diskutiert werden, die bundesweit erbitterten Protest ausgelöst haben, bezeichnete Hengelbrock als „absolute Katastrophe“. NDR-Intendant Lutz Marmor, direkt neben ihm auf dem Podium im Berliner RBB-Sendesaal sitzend, mochte diese hausgemachte Misere des SWR nicht kommentieren. Für die neun ARD-Sendeanstalten und ihr Musikangebot mit klassischen Klangkörpern ist dieses Pilotprojekt auch mit „Selbsterhaltungsmotiven“ verbunden, sagte NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth, „ich hoffe auf einen kleinen Flächenbrand, Hengelbrock ist für solch ein Projekt in großem Maße geeignet.“

„Mein Leben ist durch Musik reich und glücklich geworden“, fasste der so Gelobte gestern seine Beweggründe zusammen. „Dvoraks Neunte steht für Aufbruch und Abenteuerlust.“

Zur Einstimmung auf die Begegnung mit Dvoraks Neunter sind etliche Bonus-Tracks und Unterrichtseinheiten abseits der Konzertbühne geplant. Das musikpädagogische Begleitmaterial wird online bereitgestellt, über diese Begleit-Homepage können sich Schulklassen registrieren. Auch an Übertragungstechnik für die bundesweite Premiere wird einiges aufgefahren: Das Konzert wird am Tag des Experiments live in allen ARD-Kulturradioprogrammen und von Deutschlandradio übertragen sowie von Arte Concert als Video-Livestream.

Das Ausmaß des Begleitprogramms ist beachtlich: Der NDR plant „Workshops für Bewegungsfreudige“ unter dem Namen „Dvorak bewegt“, Schüler werden Video-Reportagen erarbeiten, die sich mit ihren Eindrücken von Dvoraks Musik beschäftigen. Andere Rundfunkanstalten bieten spezielle Konzerteinführungen an, die mit Schülern erarbeitet werden sollen. Der HR stellt ein „Super-Dvorak-Orchester“ mit etwa 250 Mitgliedern von Schülerorchestern zusammen und schickt sein eigenes Orchester auf Schultour durch Hessen. Beim RBB werden Berliner Orchester Patenschaften für Schulensembles übernehmen. Das DSO Berlin wagt sich an einen Remix-Wettbewerb: DJs und Arrangeure konnten sich Arbeitsmaterial aus dem dritten Satz der Dvorak-Sinfonie im Netz herunterladen, im März wird der Sieger in der Berliner Philharmonie ausgezeichnet.

Schüler aus Berlin-Neukölln setzen ihre Eindrücke der Musik unter dem Titel „Klassik – was guckst Du?“ in Videos um. Der SWR bringt Dvoraks Musik in einige Kinderkrankenhäuser. Der WDR organisiert eine Konzert-Variation über Dvoraks Themen, die von Musikern der WDR Big Band als Improvisationsgrundlage verwendet werden. Der BR bringt das Bayerische Landesjugendorchester und die Münchner BR-Orchesterprofis auf einen Nenner und dokumentiert die gemeinsame Arbeit. An gutem Willen herrscht also kein Mangel. Sollte das Experiment in Hamburg gelingen, wird der nächste Versuchsaufbau beim BR-Sinfonieorchester in München stattfinden.

Infos: www.schulkonzert.ard.de