Meng Jinghuis China-Gastspiel begeisterte bei den Lessingtagen

Hamburg. Ein Mann zieht die Bilanz seines Lebens. Das Schicksal hat ihm nicht mildtätig zugelächelt. Auch wenn der Name Fugui (großartig gespielt von Huang Bo) „Der Glückliche“ bedeutet. Der Protagonist des auf Deutsch erschienenen Romans „Leben!“ des auch im Westen viel gelesenen chinesischen Autors Yu Hua, fährt zwischen den 1920er- und 1960er-Jahren einmal in die Hölle und zurück, er verspielt Hof und Äcker, schlägt sich als Tagelöhner durch, gerät im Kampf gegen die Rote Armee in Kriegsgefangenschaft und schließlich in die Wirren der Kulturrevolution. Privat geht auch so einiges schief.

Dass diese Geschichte beim Gastspiel des Nationaltheaters China im Thalia Theater anlässlich der Lessingtage nicht nur Hamburgs versammelte chinesische Community erreichte, lag an dem universell menschlichen Schicksal und der ausgefeilten Regie des Regisseurs Meng Jinghui. Der kennt die deutsche Theatertradition, hat seinen Brecht und seinen Fassbinder gelesen. Meng Jinghui setzt konsequent auf modernes Erzähltheater mit Gruppenchoreografien, elektronischen Zwischenmusiken und poetischen Multimedia-Filmen. Auf einer leeren Bühne tauchen die 24 Akteure aus dem Bühnenboden auf und wieder ab. Alle Figuren zeigen ihre Emotionen sparsam, aber sie zeigen sie: Fugui, dessen zarte Frau Jiazhen (Yuan Quan) sich nach dem tragischen Verlust des Sohnes in Krankheit und Schweigen zurückzieht. Der Sohn Youqing (Ding Yiteng), der sein Lieblingsschaf nicht gegen eine gute Ausbildung eintauschen will. Die stumme Tochter Fengxia (Wang Yue), die in dem schiefköpfigen Erxi (Ding Boxuan) einen geliebten Ehemann findet.

Mutig thematisiert Jinghui auch Staatswillkür und Unmenschlichkeit des Systems. Am Ende sind fast alle tot, Fugui bleibt allein mit einem Ochsen zurück. Die Art und Weise, wie hier unsentimental familiärer Zusammenhalt, Liebe, aber auch Kampfgeist einem Leben gegenüber, das weitergelebt werden muss, gezeigt werden, ist ganz großes Theater.