Trauer um Dirigenten

Gerd Albrecht war unermüdlicher Fürsprecher der Jugend

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Verena Fischer-Zernin und Matthias Gretzschel

Als Generaldirektor prägte Dirigent Gerd Albrecht das musikalische Gesicht Hamburgs in seiner Blütezeit. Im Alter von 78 Jahren ist er jetzt in Berlin gestorben.

Hamburg. Vor wenigen Wochen war Gerd Albrecht noch in der Laeiszhalle beim Konzert seines ehemaligen Orchesters: Cornelius Meister dirigierte das 1. Sonderkonzert der Philharmoniker Hamburg, Solist war der Geiger David Garrett. Der Popstar Garrett ist ohnehin jedem Kind bekannt, aber auch Meiser hat in wenigen Jahren eine steile Karriere hingelegt und wird heute für allerhöchste Ämter gehandelt. Beide hatte Albrecht als junge Künstler gefördert. Der Einsatz für die Jugend war eine Konstante in der Biografie des Grandseigneurs mit dem weißen Haar. Am vergangenen Sonntag nun ist Albrecht unerwartet in Berlin gestorben. Mit ihm verliert Hamburg einen selbstlosen, unermüdlichen Fürsprecher der Musik.

Albrecht war von 1988 bis 1997 Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg. Im Verein mit dem damaligen Intendanten Peter Ruzicka hat er das musikalische Gesicht Hamburgs in einer Blütezeit geprägt. Wer ging damals nicht alles ein und aus an der Dammtorstraße! Ein junger Mann namens Christian Thielemann erlebte dort seinen Karrieredurchbruch mit einem sensationellen „Tristan“; Gäste vom Range eines Giuseppe Sinopoli gehörten im besten Sinne dazu.

„Die Zusammenarbeit mit Gerd Albrecht war von großer Entdeckerfreude geprägt“, erinnert sich der ehemalige Intendant. In die Ära Ruzicka/Albrecht fallen aufregende, vielbeachtete Produktionen auch entlegener Werke wie Puccinis „Il trittico“ oder Franz Schrekers „Die Gezeichneten“. Bemerkenswert auch, was für Uraufführungen das Haus damals stemmte: 1992 dirigierte der spätere Chefdirigent Ingo Metzmacher Rihms „Die Eroberung von Mexiko“, 1996 leitete Albrecht selbst Alexander von Zemlinskys „König Kandaules“. Mit Helmut Lachenmanns skandalumtoster Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ hat das Haus Musikgeschichte geschrieben. Und fast nebenbei ging Albrecht mit den Seinen auf internationale Tourneen, nach Japan etwa oder – unter dem Stichwort Versöhnung – nach Israel.

Geboren wurde er 1935 als Kind einer Musikerfamilie in Essen. Er studierte in Kiel und Hamburg und gewann als 22-Jähriger den Ersten Preis beim Internationalen Dirigentenwettbewerb im französischen Besançon. Fünf Jahre später trat er sein Amt als Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor in Lübeck an. Nach Stationen in Kassel und an der Deutschen Oper Berlin übernahm er 1980 die Leitung des Zürcher Tonhalle-Orchesters. Schon bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begann er eine intensive Zusammenarbeit mit der Tschechischen Philharmonie. Dirigent und Orchester harmonierten zunächst so gut, dass die tschechischen Musiker den deutschen Dirigenten zu ihrem Chef wählten. In der damals fast 100jährigen Geschichte des Prager Orchesters war Albrecht der erste – und bislang einzige – Ausländer auf dem Chefposten.

Dass diese Zusammenarbeit nicht gut ausgehen konnte, hatte weniger künstlerische als vielmehr politische Gründe. Tschechische Nationalisten betrachteten Albrechts Wahl als Verrat an der nationalen Musikkultur. Ein Teil der tschechischen Presse fuhr eine Kampagne gegen Albrecht, der bei seinen Musikern zwar mehrheitlich Rückhalt genoss, gleichwohl nicht immer glücklich agierte. Mal warf man ihm vor, dass er den künstlerischen Ansprüchen des traditionsreichen Klangkörpers nicht genüge, mal kritisierte man seinen angeblich nicht ausreichenden wirtschaftlichen Erfolg. Albrecht selbst sagte in einem Interview: „Ich muss büßen für 300 Jahre Habsburger Herrschaft, für die Nazi-Okkupation und die Beteiligung von DDR-Truppen an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.“ 1996 gab Albrecht sein Amt vorzeitig auf, doch ab 2004 dirigierte er das tschechische Orchester wieder.

Trotz seiner weltweiten Erfolge von Salzburg bis Tokio blieb er seinem Engagement für die Jugendförderung treu. Cornelius Meister erzählt, wie Albrecht ihn entdeckte: Auf Albrechts Einladung spielte Meister 1997 als Pianist ein Kammerkonzert in der heutigen Laeiszhalle, zu der Zeit noch Musikhalle. „Nachher beim Italiener fragte er mich aus heiterem Himmel, ob ich Dirigent werden wolle“, erzählt der 33-Jährige. „Er kannte mich nur als Pianisten – nie hatte ich ihm erzählt, dass ich tatsächlich vorhatte zu dirigieren.“ Albrecht hatte das einfach gespürt.

Unter dem Motto „Die Philharmonie stellt vor“ verschaffte er jungen Talenten wie den Geigerinnen Viviane Hagner und Latica Honda-Rosenberg eine Bühne. Albrecht blieb aber nicht nur im Elfenbeinturm der Hochbegabtenförderung hocken. Gesellschaftspolitisch genauso verdienstvoll und wichtig, nur weit weniger glamourös war sein Einsatz für die Musikvermittlung. Bis zum Schluss moderierte der Maestro die Fernsehsendung „Musik-Kontakte“ des NDR. Und quasi zeitgleich mit seinem Amtsantritt rief er das „Klingende Museum“ ins Leben, eine Sammlung so ungefähr aller europäischen Musikinstrumente in den Katakomben der Laeiszhalle. So manches Hamburger Kind hat dort zum ersten Mal erlebt, wie etwa eine Posaune klingt – und wie es sich anfühlt, wenn sie beim Reinblasen an den Lippen kitzelt. Solche Initiationserlebnisse sind durch nichts zu ersetzen, insbesondere für nicht für solche Kinder, bei denen das Klavier nicht zur bürgerlichen Wohnungseinrichtung gehört.

„Wenn wir die Grundlagen nicht legen, hängen die, die wir als Kinder erreichen könnten, später am Heroin“, sagte Albrecht einmal über seine Motivation. Er hat seinen Teil zu diesen Grundlagen sattsam beigetragen.